Die Klimakrise schreitet unausweichlich voran und auch wenn sie momentan durch die Coronakrise überschattet, und der menschengemachte Klimawandel hierdurch teilweise gebremst wird, darf die Wichtigkeit dieser Jahrhundertherausforderung der Menschheit nicht vergessen werden und unbekämpft bleiben. PolitikerInnen und Parteien unterschiedlicher Länder der Welt agieren dabei oft in derart festgefahrenen Strukturen, dass, selbst wenn der Wille da wäre, Systemänderungen zur Bekämpfung der Klimakrise oft zu langwierig und unzureichend scheinen, um Katastrophen in naher Zukunft verhindern zu können. Viele, und zunehmend mehr, Menschen sind dadurch frustriert und versuchen durch aktivistisches Engagement Änderungen der prekären Zustände zu bewirken. Der folgende Leitfaden soll einen Einstieg in den Bereich des Aktivismus für Jene ermöglichen, die sich bisher wenig oder gar nicht mit dem Thema auseinandergesetzt haben. Es soll zeigen, dass Aktivismus nicht eine Freizeitbeschäftigung linksextremer StudentInnen, sondern ein wichtiges Werkzeug der zivilen Bevölkerung ist, ungeachtet sämtlicher Schichten oder Gruppen, um positive Veränderungen erzielen zu können. Im Zuge dessen wird die interessante und lehrreiche Geschichte des Umweltaktivismus in Österreich thematisiert, gezeigt wer sich in der Regel im Aktivismus stark macht und in welcher Form sich Aktivismus schlussendlich äußert. Jeder und jede Einzelne kann einen Beitrag dazu leisten, dass das Leben für die Allgemeinheit, und somit auch für jedes Individuum selbst, lebenswerter wird. Unser Verhalten und die Entscheidungen, die wir in der Gegenwart treffen bestimmen sowohl unsere, als auch die Zukunft der kommenden Generationen.
Lasst uns jetzt aktiv werden!
Die Besetzung der Hainburger Au
Die Hainburger Au ist eine naturbelassene Flusslandschaft an der Donau nahe Hainburg in Niederösterreich, östlich von WIen, und seit 1996 Teil des Nationalparks Donau-Auen. Anfang der 1980er Jahre drohte ein Teil, durch ein dort geplantes Wasserkraftwerk, zerstört zu werden. Durch massiven öffentlichen Widerstand der Bevölkerung, der sich durch die Besetzung des Baugebiets, Demonstrationen und weitere Aktionen kennzeichnete und der letztendlich zu einem Volksbegehren führte, konnte dies verhindert werden.
Erstmals trat ziviler Ungehorsam erfolgreich und öffentlichkeitswirksam in Erscheinung und den Österreichern wurde das Prinzip direkter Demokratie bewusst. Nach der Absage an das Kernkraftwerk Zwentendorf 1978 war Hainburg das zweite Ereignis, in dem Basisdemokratie erfolgreich – und nachhaltig richtungsweisend – umgesetzt wurde.
Für die Grüne Alternative führte dieser Protest zu einer Neuformierung als Partei aus einigen bereits bestehenden Grüngruppierungen, und sie erreichte 1986 erstmals den Einzug in den Nationalrat.
Mit der Besetzung wurde klar, dass die österreichische Bevölkerung den Landschaftswert genauso hoch beurteilt wie die Versorgungssicherheit – der ORF sprach seinerzeit vom „neuen Umweltbewusstsein der Österreicher“.
WWF Österreich Kampagne „Rettet die Auen“
Zum Jahreswechsel 1982/1983 hatte der WWF Österreich seine Kampagne Rettet die Auen gestartet und mit Hilfe einiger Medien begonnen, die Öffentlichkeit auf die drohende Zerstörung eines Teils der Donauauen durch ein dort geplantes Wasserkraftwerk aufmerksam zu machen. Obwohl die Kampagne des WWF Österreich von zahlreichen Umweltaktivisten unterstützt wurde, hielt sich das Interesse der breiten Öffentlichkeit in Grenzen.
Politische Entscheidung für das Wasserkraftwerk Hainburg
Pressekonferenz der Tiere im Presseclub Concordia
Der Publizist Günther Nenning und Gerhard Heilingbrunner, Leiter des Alternativ-Referats der Österreichischen Hochschülerschaft, traten als Initiatoren eines Volksbegehrens zur Erhaltung der Auen und Errichtung eines Nationalparks in Erscheinung, wofür auch der Nobelpreisträger Konrad Lorenz als prominenter Unterstützer gewonnen wurde. Zur Unterstützung dieses Konrad-Lorenz-Volksbegehrens fand am 7. Mai 1984 im Presseclub Concordia die später so genannte Pressekonferenz der Tiere statt. Unter den anwesenden Persönlichkeiten aus Politik und Kunst, die gegen den Kraftwerksbau protestierten, waren Günther Nenning (als Hirsch verkleidet), der Wiener Stadtrat Jörg Mauthe (als Schwarzstorch), Peter Turrini (als Rotbauchunke) und Othmar Karas (als Kormoran). Aufgrund der umfangreichen Berichterstattung über dieses Ereignis schafften die Opponenten des Kraftwerksbaus nun den Sprung ins Bewusstsein der Bevölkerung.
Demonstration in Wien von Bauarbeitern für das Kraftwerk
15.000 Bauarbeiter demonstrieren in Wien für den Bau des Kraftwerks.
Beginn mit den Bauarbeiten
Sternmarsch der Österreichischen Hochschülerschaft
Erzwungene Einstellung der Rodungsarbeiten durch die Besetzung
Am 8. Dezember 1984 organisierte die Österreichische Hochschülerschaft einen Sternmarsch, an dem ca. 8000 Menschen teilnahmen. Mehrere hundert Personen blieben in der Au und erzwangen die Einstellung der Rodungsarbeiten.
Unterbrechung der Liveübertragung von Wetten, Dass..? durch Umweltaktivisten
Am 15. Dezember rannten bei der Liveübertragung der Samstagabendshow Wetten, dass..? aus Bremen deutsche Umweltaktivisten von Robin Wood mit dem Transparent „Nicht wetten – Donauauen retten“ vor den gerade sprechenden Wettpaten Bundeskanzler Fred Sinowatz. Als sie von Ordnern schon fast aus dem Bildbereich gezerrt worden waren, schritt Moderator Frank Elstner mit den Worten „In meinem Studio wird keiner rausgeschmissen!“ ein und gab den Aktivisten noch die Möglichkeit zu einer kurzen Stellungnahme.
Zusammenstöße von Besetzern und Polizei nach Erklärung zum Sperrgebiet
Darauffolgende Massendemonstrationen in Wien
Nachdem die Au zum Sperrgebiet erklärt worden war, kam es am 19. Dezember 1984 zu einem umstrittenen Polizeieinsatz, bei dem unter Schlagstockeinsatz eine Fläche von ca. 4 ha mit Absperrungen eingefasst und unter Polizeibewachung gerodet wurde. Bei den Zusammenstößen zwischen 800 Gendarmerie- und Polizeibeamten und etwa 3000 Aubesetzern wurden auf Seiten der Umweltschützer nach offiziellen Angaben 19 Personen, darunter Angehörige eines italienischen Fernsehteams, verletzt. Redakteure und Kameraleute des ORF wurden bei ihrem beruflichen Einsatz in der Stopfenreuther Au von Exekutivorganen tätlich an ihrer Arbeit gehindert.
Am Abend desselben Tages demonstrierten in Wien bis zu 40.000 Menschen gegen das Vorgehen der Regierung und gegen den Kraftwerksbau.
Rodungsstop verhängt durch die Bundesregierung
Weihnachtsfrieden
Am 22. Dezember 1984 verkündete Fred Sinowatz unter dem Druck der öffentlichen Meinung und einiger einflussreicher Medien (insbesondere der Kronen Zeitung) einen Weihnachtsfrieden.
Durch den Verwaltungsgerichtshof verhängter Rodungsstop
Als der Verwaltungsgerichtshof Anfang Jänner 1985 weitere Rodungen bis zum Abschluss des laufenden Beschwerdeverfahrens für unzulässig erklärte, wurde die Besetzung beendet.
Einjährige Nachdenkpause der Bundesregierung, Einsetzen einer Ökologiekommission
Konrad-Lorenz-Volksbegehren
Der Verfassungsgerichtshof hebt den Wasserrechtsbescheid auf
Einzug der Partei "Die Grünen" in den Nationalrat
Hainburg wird Teil des Nationalparks Donau-Auen
„Das war schon auch etwas, was wahnsinnig viele Menschen mitgerissen hat. Also wie die Polizei da diesen großen Überfall gemacht hat waren 40.000 Menschen am Stephansplatz und es war zu der Zeit so, dass wenn man so Au-mäßig ausgeschaut hat und in der U-bahn war sind alle Leute zu einem hingekommen und haben gefragt: „Wie läufts in der Au?”, “Hier hast du eine Spende.”, “Toll, machts weiter.” und “Wo kann man zusteigen kann ich auch mal kommen? und wie läuft das?”. Also es war schon sehr breite Unterstützung in der Öffentlichkeit.“
Martin Balluch
Die lehrreiche Geschichte des Umweltaktivismus in Österreich
Die Verhinderung des Wasserkraftwerks in der Hainburger Au zeigt, dass durch Zusammenhalt und breite Solidarität in der Bevölkerung viel möglich ist. Nicht nur konnte sich, durch die Instrumente der direkten Demokratie, der Wille der Bevölkerung gegen den Willen der Politik durchsetzen, es entstand in weiterer Folge auch eine politische Partei aus den AktivistInnengruppen, welche, nach Einzug in den Nationalrat, direkt Einfluss auf das politische Geschehen nehmen konnte. Ausschlaggebend für den Erfolg war die Hartnäckigkeit der BesetzerInnen, eine Breite Solidarität in der Bevölkerung, die sich durch große Demonstrationen zeigte und nicht zuletzt medienwirksame Aktionen, die zu einer intensiven Berichterstattung und in weiterer Folge zu großem Druck auf die Politik führten.
Hainburg ist dabei kein Einzelfall. Ähnlich beeindruckend war die Verhinderung des Atomkraftwerks Zwentendorf in den 1970er Jahren, bei der, ebenfalls durch eine Volksbefragung und Druck auf die Politik, die Inbetriebnahme des bereits gebauten AKWs verhindert und somit der Anti-Atomkraft-Kurs Österreichs eingeschlagen wurde.
Von kleinerem Maßstab, aber nicht weniger interessant, waren die Arena-Besetzung 1976, die in dem, bis heute bestehenden, Kulturzentrum resultierte oder die Besetzungen des Burggartens 1979, welche die, bis dahin verbotene, öffentliche Nutzung der Rasenflächen zur Folge hatten.
Der Durchschnittsaktivist*In ist in der heutigen Zeit in verschiedenen Bereichen tätig und engagiert sich entweder ehrenamtlich oder festangestellt. Welche Ziele verfolgen die Aktivist*Innen? Inwiefern unterscheiden sich die Themengebiete zwischen Frauen und Männern und welche Charakteristika zeichnen den/die Durchschnittsaktivist*In aus?
Das folgende Kapitel befasst sich mit den verschieden exekutiven Ebenen, auf denen Aktivismus ausgetragen wird. Viele Anliegen werden in einem örtlich eingeschränkten, lokalen Rahmen kommuniziert, und nehmen meistens auf Problematiken in der direkten Umgebung (z.B. Begrünung eines Stadtviertels) Bezug. Aktivismus auf nationaler Ebene befasst sich oft mit generellen Missständen, die nur auf Bundesebene gelöst werden können. Typische Kategorien sind hierfür Bildung, Gesundheit, Arbeitslosigkeit und Wirtschaft. Internationaler Aktivismus bedarf einer länderübergreifenden Zusammenarbeit: Außenpolitik und Migration sind hierfür typische Themenbereiche. Manche Anliegen wie beispielsweise der Umweltaktivismus, werden interdisziplinär auf allen Ebenen ausgetragen. In eine Studie aus dem Jahr 2019 wurden EU-Bürger*Innen aus der Altersgruppe 16 bis 26 befragt, für welche Themen sie sich aktivistisch engagieren: Demnach gehören Umweltschutz (43%), Gleichberechtigung (40%) und Migration (38%) momentan zu den wichtigsten Themenbereichen.
Für was setzen sich AktivistInnen ein?
Warum protestieren Menschen
Konventionelle Theorien implizieren, dass Menschen in der Regel motiviert durch Frustration und das Gefühl von sozialer Ungleichheit an Protesten teilnehmen. In den vergangenen Jahrzehnten haben WissenschaftlerInnen jene Auswirkungen von Missständen auf die Bewegungsteilnahme empirisch erforscht. Das Ergebnis legt nahe, dass die Faktoren Wirksamkeit, Ressourcen und Möglichkeiten die Teilnahme an Protesten maßgeblich beeinflussen würden. In jüngster Zeit hat darüber hinaus die Rolle von Emotionen die Aufmerksamkeit von Protestforschern auf sich gezogen. Bei einer Studie zu Protestbeteiligung von MigrantInnen hat sich außerdem ein fünftes zu berücksichtigendes Element etabliert– soziale Einbettung. Diskussionen über Politik in Netzwerken erhöhen die Wirksamkeit und generieren gemeinschaftliche Beschwerden, was sich in höheren Protestbeteiligungen äußert.
Wirksamkeit und Protest
Zahlreiche Studien haben belegt, dass das Gefühl der Wirksamkeit in hohem Maße mit der Teilnahme an Protesten korreliert. Die Gruppenwirksamkeit und nicht die persönliche Wirksamkeit sagt demnach die Teilnahme an Protesten vorher. Es zeigt sich, dass Menschen eher an Aktivismus teilnehmen, wenn sie tatsächlich daran glauben, dass sich ihre Situation dadurch realistisch ändern lässt. Je stärker eine Person an den Erfolg einer Protestaktion glaubt, desto wahrscheinlicher ist eine Teilnahme.
Wirksame und ineffiziente Menschen gehen jedoch unterschiedliche Wege zum sozialen Wandel: Während normative Protestformen wie Petitionen und Demonstrationen tendenziell hochwirksame Menschen anziehen, ziehen nicht normative Protestformen eher Menschen mit geringer Wirksamkeit an.
Soziale Integration und Protest
Soziale Integration spielt im Kontext des Protests eine zentrale Rolle. Die
Auswirkung der Interaktion in Netzwerken auf die Neigung zur Teilnahme an der Politik hängt von der Menge an politischen Diskussionen ab, die in sozialen Netzwerken stattfinden, und von den politischen Informationen, die potenziellen AktivistInnen digital zugänglich sind. Netzwerke bieten Raum für die Schaffung und Verbreitung eines autoritätskritischen Diskurses und bieten eine Möglichkeit, den aktiven Widerstandgegen Regierungen zu steigern. Mit anderen Worten, hier wird über Politik gesprochen und damit die Gegebenheiten der gesellschaftspolitischen Welt konstruiert und Menschen zum Protest mobilisiert. Die Integration in ein Netzwerk erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass man von einer mobilisierenden Botschaft angesprochen wird und dass die Menschen ihre Versprechen zur Teilnahme einhalten.
Kritische Äußerungen und Protest
Im Mittelpunkt jedes Protestes stehen kritische Äußerungen jeglicher Art, sei es die Erfahrung unrechtmäßiger Ungleichheit, Gefühle relativer Entbehrung, Gefühle der Ungerechtigkeit, moralische Empörung über einen Sachverhalt oder
eine plötzlich auferlegte Beschwerde. Illegitime Ungleichheit ist das, worum es bei Theorien über relative Benachteiligung und soziale Gerechtigkeit geht. Plötzlich auferlegte Beschwerden beziehen sich auf eine unerwartete Bedrohung oder einen Eingriff in die Rechte oder Umstände der Menschen. Beschwerden, die sich aus verletzten Grundsätzen ergeben, beziehen sich auf moralische Empörung, weil man den Eindruck hat, dass wichtige Werte oder Grundsätze verletzt werden. Allgemeiner ausgedrückt können Konflikte zwischen Gruppen als Konflikte um Prinzipien oder materielle Interessendefiniert werden. Diese Unterscheidung ist im Zusammenhang mit Protesten wichtig, da Menschen in einem Interessenkonflikt eher dazu neigen, einen instrumentellen Weg einzuschlagen, um zu protestieren, um Änderungen
durchzusetzen, während ein Konflikt von Prinzipien eher zu Protesten führt, in denen Menschen ihre Ansichten und Empörung zum Ausdruck bringen.
Gruppenbasierte Emotionen und Proteste
Wut wird als prototypische Protestmotivation angesehen. Gruppenbasierte Wut ist ein wichtiger Motivator für die Protestbeteiligung benachteiligter Gruppen. Eine kürzliche Studie ergab, dass
symbolischer Rassismus und relative Benachteiligung gruppenbasierten Ärger hervorriefen, der die Bereitschaft zu politischem Handeln deutlich förderte. Privilegierte Gruppenmitglieder können den Vorteilinnerhalb der Gruppe aber auch als solchen erkennen, und Schuldgefühle über die existierende Ungleichheit empfinden. Wut im Zusammenhang mit dem Privileg innerhalb der Gruppe scheint demnach ein starker Prädiktor für Protest zu sein.
Identifikation und Protest
Warum ist die Gruppenidentifikation ein so starker Motivationsschub für Protest? Die Identifikation mit Anderen geht aus soziologischer Sicht mit dem Bewusstsein für Ähnlichkeit und einem gemeinsamen Schicksal einher. Darüber hinaus beruht die „Stärke“ von Zugehörigkeit auf ihrer affektiven Komponente; je mehr ich mich mit der Bewegung identifizieren kann, desto stärker bin ich motiviert, im Namen der gesamten Gruppe teilzunehmen. Neben dem gemeinsamen Schicksal, den gemeinsamen Emotionen und der gesteigerten Wirksamkeit führt die Identifikation mit anderen Beteiligten zu dem Gefühl einer inneren Verpflichtung, sich als legitimes Gruppenmitglied zu verhalten. Je mehr man sich mit der Gruppe identifiziert, desto mehr Gewicht wird diese Gruppennorm haben und desto mehrführt dies zu einer „inneren Verpflichtung“, im Namen der Gruppe Aktivismus zu betreiben.
Gründe und Motive für Freiwilligenengagement
Gründe und Motive für Freiwilligenengagement
In eine Studie wurden Menschen, die sich entweder in Vereinen oder im Rahmen der Nachbarschaftshilfe engagieren, nach den Motiven für ihren Einsatz befragt. Dabei wurde eine Reihe von möglichen Gründen und Motiven vorgelegt. Ebenso wurde bei Personen, die sich bislang nicht gemeinnützig engagiert haben, nachgefragt, warum sie sich daran nicht beteiligen. Für das freiwillige Engagement sprechen seitens derer, die in dem einen oder anderen Bereich aktiv sind, nicht nur altruistische Motive bzw. der Wunsch etwas Nützliches für die Gesellschaft beizutragen, sondern auch ein vielfältiger persönlicher Nutzen und damit eine Steigerung des eigenen Wohlbefindens durch dieses Engagement. Diese beiden Antriebsfaktoren sind durchgängig sehr ausgeprägt.
Für fast alle, die im formellen oder informellen Freiwilligensektor aktiv sind, ist das Hauptmotiv Anderen zu helfen und damit einen Beitrag zum Gemeinwohl zu leisten. Zugleich betonten mehr als 80 Prozent, dass ihnen diese gemeinnützigen Tätigkeiten durchaus auch Spaß und Freude bereiten. Jeweils rund drei Viertel der Engagierten sind darüber hinaus dadurch motiviert, dass sie dabei ihre Kenntnisse und Fähigkeiten einbringen können und dass sie im Zuge ihres Engagements mit anderen Menschen auch neue Freundschaften schließen können. Knapp ebenso viele bestätigten, dass sie dadurch die eigene Lebenserfahrung erweitern, also im Zuge der Unterstützungsleistungen selbst dazulernen. Für mehr als die Hälfte der Engagierten spielt auch eine Rolle, dass ihre gemeinnützige Tätigkeit eine zusätzliche gesellschaftliche Anerkennung mit sich bringt. Innerhalb der letzten vier Jahre hat sich an den Gründen bzw. Motiven für das freiwillige Engagement, bezogen auf die Dimensionen, nicht viel verändert. Gegenüber dem Jahr 2012 sind die Einschätzungen der Wichtigkeit bei den meisten erhobenen Aspekten tendenziell zwar etwas zurückgegangen, die Verschiebungen halten sich aber in moderaten Grenzen. Was sind hingegen die Gründe dafür, sich nicht freiwillig zu engagieren? Hier kristallisieren sich letztlich zwei Hauptfaktoren heraus: Ein verbreiteter Grund ist, dass man darum noch nicht gebeten worden ist bzw. dass man im persönlichen Umfeld keinen diesbezüglichen Bedarf wahrgenommen hat. Infolgedessen habe man darüber auch noch nicht konkret nachgedacht. Der am zweithäufigsten genannte Grund ist, dass man wegen der eigenen familiären oder beruflichen Auslastung keine Zeit dafür hat. Ein großes Potenzial für ein künftiges Engagement stellt vor allem jene Gruppe dar, die sagten, dass sie in diesen Bereichen bisher nicht aktiv waren, weil sie über die Möglichkeiten eines Freiwilligenengagements zu wenig informiert sind. Gegenüber dem Jahr 2012 hat sich der Anteil der Personen, die diese Gründe angaben tendenziell etwas erhöht. Dies trifft auch in Bezug auf die mangelnde persönliche Informationslage über die Möglichkeiten eines freiwilligen Engagements zu.
Motivation zur Teilnahme
In einer Studie wurden die Motive der Teilnehmervon Klimaprotesten der Fridays For Future–Bewegung vom 20. bis 27. September 2019in Wien untersucht. Die Demonstrierenden gabendabei unterschiedliche Motive an, an denDemonstrationen teilzunehmen. Die Mehrheitder Befragten stimmte dabei den abgefragtenMotivationen zu, dass Druck auf die Politikauszuüben, Bewusstsein zu schaffen, ein Solidaritätsgefühlund moralische Pflichten Gründefür die Teilnahme an den Protesten seien.Ein wichtiger Grund für die TeilnehmerInnenwar auch die Vertretung eigener Interessenund das Schaffen eines öffentlichen Bewusstseins:56% der Jugendlichen und 60% derErwachsenen stimmten dem zu. Das am wenigstenverbreitete unter den vordefiniertenMotiven war „weil mich jemand gebeten hatmitzumachen“, dem nur 5% jeder Altersgruppezustimmten oder stark zustimmten. VieleTeilnehmerInnen in Wien nahmen am GlobalEarth Strike im September in kleinen Gruppenteil. Es ist auch wichtig anzumerken, dass derBildungsminister einer Teilnahme der Schüler-Innen an den Streiks nichts entgegenzusetzenhatte, insofern ihre Teilnahme von der Schule(von Lehrern) organisiert wurde. Infolgedessennahm eine bemerkenswerte Anzahl vonDemonstranten aus dem Bereich des Schulumfeldesan den Protesten teil. Die Umfragehat auch nach Emotionen und Netzwerkengefragt, die die ProtestteilnehmerInnen mobilisieren.Im Allgemeinen berichten Schüler-Innen über stärkere Emotionen, wie z.B. Wut,Besorgnis und Angst, als Erwachsene. Bei derFrage nach ihren Motiven für die Teilnahme am Klimastreik war der Hauptgrund, der sowohl von Schülern als auch von Erwachsenen erwähnt wurde, Druck auf die Politik auszuüben. 67% der SchülerInnen und 66% der erwachsenen TeilnehmerInnen stimmten darin überein, dass dies der Hauptfaktor für die Mobilisierung ist. Bei der Betrachtung anderer Punkte, die die Motivation zur Teilnahme an den Protesten betreffen scheinen Erwachsene allgemeine strategische Aspekte der Demonstration zu unterstützen, beispielsweise die Steigerung des Bewusstseins oder moralischen Verpflichtungen. Im Gegensatz dazu betonen die Antworten der SchülerInnen Themen wie Interessensverteidigung stärker. Gruppenzwang wurde oft als Grund für die Teilnahme an den FFF–Demonstrationen genannt. Auch im öffentlichen Diskurs, in dem Behauptungen darauf hinwiesen, dass das Fernbleiben der Schule eine Hauptmotivation für eine beträchtliche Gruppe von MitläuferInnen unter den Schülern war. Die Protestwelle „Fridays for Future“ hat eindeutig davon profitiert, dass Greta Thunberg das Gesicht und Aushängeschild der Bewegung ist. Teilweise im Gegensatz zu dem, in Österreich und auch weltweit entstandenen, Medienimage lassen sich bei den DemonstrationsteilnehmerInnen relativ ausgewogene Einstellungen finden sowohl hinsichtlich der Frage, ob es einen „Greta–Effekt“ gibt, welcher das Interesse an der Klimakrise verstärkte, als auch hinsichtlich den Entscheidungen, an der Demonstration teilzunehmen.
Mobilisierung
Wenn eine Person an Protesten teilnimmt, ist dies das Ergebnis eines manchmal langwierigen Mobilisierungsprozesses. Die Mobilisierung ist ein komplizierter Prozess, der in mehrere konzeptionell unterschiedliche Schritte unterteilt werden kann.
Konsensmobilisierung
Die Teilnahme aufgrund gemeinsamer Interessen oder Ideologien erfordert eine gemeinsame Interpretation dessen, wer, warum und wie handeln sollte. Bewegungen beeinflussen solche Interpretationen durch die Informationen, die sie verbreiten, ein Prozess, der als Framing bekannt ist.
Aktionsmobilisierung
Die Mobilisierung gliedert sich weiter in vier separate Schritte: Die Menschen müssen mit der Sache sympathisieren, über das bevorstehende Ereignis Bescheid wissen, teilnehmen wollen und teilnehmen können.
Der erste Schritt berücksichtigt die Ergebnisse der Konsensmobilisierung. Er unterscheidet die breite Öffentlichkeit in diejenigen, die mit der Sache sympathisieren, und diejenigen, die dies nicht tun. Je erfolgreicher die Konsensmobilisierung war, desto größer ist der Pool an SympathisantInnen, aus denen eine mobilisierende Bewegungsorganisation schöpfen kann.
Der zweite Schritt ist unterteilt die SympathisantInnen in diejenigen, die Ziel von Mobilisierungsversuchen waren, und diejenigen, die dies nicht waren. Der dritte Schritt unterteilt die angesprochenen SympathisantInnen in diejenigen, die motiviert sind, an der spezifischen Aktivität teilzunehmen, und diejenigen, die dies nicht sind.
Schließlich unterscheidet der vierte Schritt die motivierten Personen in diejenigen, die am Ende teilnehmen, und diejenigen, die dies nicht tun. Das Nettoergebnis dieser verschiedenen Schritte ist, dass ein (normalerweise kleiner) Teil der Öffentlichkeit an Protesten teilnimmt. Mit jedem Schritt fallenkleinere oder größere Zahlen aus, bis eine Person schließlich den letzten Schritt unternimmt, um an einer Instanz kollektiven politischen Handelns teilzunehmen.
Aktivismus erlebte im Laufe der Geschichte einen strukturellen Wandel, da sich sowohl die Kommunikationsmittel als auch die Bedürfnisse und Interessen der Bevölkerung verändert haben. Besonders in den vergangenen Jahrzehnten gab es durch die Globalisierung und die damit einhergehende Digitalisierung eine Tendenz zu onlinebasiertem Cyberaktivismus und es ist möglich geworden über Grenzen hinweg große Massen an Menschen zu erreichen und zu aktivieren. Im folgenden Kapitel wird neben dem Cyberaktivismus auch die Demonstration als eine der wichtigsten Aktionsformen behandelt.
CLAIRE KARDAS (*2002) …
ist eine österreichische Aktivistin mit Schwerpunkt auf Klimagerechtigkeit. Bereits im Alter von 18 Jahren war sie Vollzeitaktivistin, seit knapp zwei Jahren arbeitet sie als Social-Media-Koordinatorin für Fridays for Future Vienna. Sie hat sich beim Klimavolksbegehren sowie die bei Aktionen für die Integration von Flüchtlingen in Wien engagiert.
2017/19... Social Media Akteurin bei Open Piano for Refugees
2019/20... Community Managerin beim Klimavolksbegehren
2019... Fridays for Future Vienna (National Social Media Coordinator Austria)
2020... TEDx Social Media, Instagram Content
1. Was bedeutet Aktivismus allgemein für Sie persönlich? Beginnt er ihrer Meinung nach schon bei einem privaten Gespräch oder muss man aktiv in einer Organisation tätig sein?
Meiner Meinung nach reicht ein privates Gespräch nicht aus, um sich AktivistIn zu nennen, aber es ist auf jeden Fall ein guter Start. Es gibt mehrere Möglichkeiten, sich politisch einzusetzen, man muss dafür nicht unbedingt einer Organisation angehören. Man kann auch aktivistisch sein, indem man Petitionen unterschreibt, auf die Straße geht oder Emails verfasst. Selbst wenn man wählen geht ist das eine Form von Aktivismus, bei der man demokratische Grundrechte beansprucht.
2. Wann sind Sie persönlich mit Aktivismus in Berührung gekommen? Gab es ein Schlüsselereignis?
Angefangen hat es bereits während der Flüchtlingskrise 2015, das war damals der Fokus der Öffentlichkeit. Zum Aktivismus hat mich schließlich eine Lehrperson aus meiner Schule gebracht, die mich auf eine Demo von Fridays for Future (FFF) mitgenommen hat.
3. Welche Kategorien des Aktivismus halten Sie gegenwärtig für besonders wichtig?FFF ist nicht wirklich eine Umweltorganisation; auch wenn uns die Umwelt wichtig ist, geht es bei uns mehr um die Klimagerechtigkeit, also vorwiegend darum, die Menschen vor den Folgen der Klimakrise zu schützen und darüber zu informieren. Dabei möchten wir besonders auf die Menschen im globalen Süden hinweisen, die jetzt schon darunter leiden. Das Thema betrifft in den nächsten Jahrzehnten aber ebenso die Küstenstädte zahlreicher Industrienationen, die durch den steigenden Meeresspiegel bedroht sind.
4. Haben Sie das Gefühl, dass ihre Anliegen und Methoden in der Allgemeinbevölkerung ausschließlich auf Zuspruch treffen?
Es ist kein Geheimnis, dass wir auch auf Widerstand stoßen, das ist allen bewusst. Allerdings ist unsere Form des Aktivismus nicht mit zivilem Ungehorsam wie zum Beispiel bei XR (Extinction Rebellion) verbunden, die zwar für dieselben Sachen einstehen, jedoch mit mehr Wucht und Radikalität.
5. Denken Sie, dass sich allgemein zu wenige Leute aktivistisch engagieren?
Viele können sich gar nicht einsetzen, weil sie sich beispielsweise in einer persönlichen Krisensituation befinden, die vor dem Klima Vorrang hat. Solche Menschen sind schwer zu aktivieren und zu mobilisieren, was natürlich auch verständlich ist.
6a. Wie kann man Aktivismus einer breiteren Masse zugänglich machen, bzw. soll Aktivismus überhaupt massentauglich sein?
Wir haben verschiedene Zielgruppen: Solche, die über die Folgen der Klimakrise in den nächsten paar Jahren Bescheid wissen, und solche, die unser Movement cool finden, aber eigentlich nicht viel Ahnung von der Wissenschaft dahinter haben und einfach dabei sein wollen. Und genauso haben wir auch die Zielgruppen, die im Vorhinein schon sagen, das unsere Anliegen Unsinn sind, die können wir eben nicht aktivieren.
6b. Unterscheidet eure Methodik auch zwischen den Zielgruppen?
Die weltweiten Klima Streiks holen wahrscheinlich die breiteste Masse ab; es geht so wenig wie möglich um Inhalt und mehr darum, auf die Straße zu gehen. Außerdem haben wir auch Vorträge an Unis, die sehr viel technisches Wissen beinhalten. Und wir haben auch Zwischenformen wie Aktionen auf der Straße, wo WissenschaftlerInnen und UniprofessorInnen vorsprechen, die sich sehr gut mit der Thematik auskennen.
6c. Wie kann man Menschen motivieren, etwas zu tun?
Wenn Menschen früher an die Klimakrise gedacht haben, dann waren meistens die auf einer Scholle treibenden Eisbären im Kopf. Ich glaube, solche Metaphern funktionieren nicht mehr so gut. Was Leute sehr bewegt, sind Bilder von Menschen, die jetzt schon unter den Folgen der Klimakrise leiden, egal wie weit weg sie passieren. Die Folgen werden immer mehr spürbar, auch bei uns, und ich glaube, das sind die ausschlaggebenden Faktoren.
„Wenn Menschen früher an die Klimakrise gedacht haben, dann waren meistens die auf einer Scholle treibenden Eisbären im Kopf.“
7a Sind machtorientierte und ethische Handlungen immer ein Gegensatz?
Ich glaube, PolitikerInnen und Firmen sehen die Welt nicht Bildern und Emotionen sondern im Statistiken, Balkendiagrammen und an einem Bruttoinlandsprodukt. Sie sehen, wie viel es kostet sich für den Klimaschutz einzusetzen, und wie lange es dauern wird, bis die Folgen in ihrem Land ankommen werden. Und dann denken sie sich meistens, dass die nächste Generation oder die Entscheidungsträger der anschließenden Regierungsperiode das für sie geradebiegen wird. Es ist sehr schwierig, Firmen zum Umdenken zu bewegen, aber wir tun das, indem wir hartnäckig bleiben, und vor Augen führen, dass es auch sie, ihre Kinder und ihre Enkel betreffen wird.
7b Also würden Sie grundsätzlich sagen, dass es solchen Personen an Weitsicht und Solidarität den nächsten Generationen gegenüber fehlt?
Ich glaube, wenn man zu sehr viel Macht und Geld kommt, muss man meist eine kalte Persönlichkeit haben. Vielleicht sagen wir es nicht oft genug, aber die Klimabewegung ist eine antikapitalistische Bewegung.
8. Können Sie eine klare Grenze ziehen zwischen Ihrem Aktivismus und Ihrem Privatleben oder lässt sich das nicht voneinander trennen?
Sie fragen diese Frage eine Vollzeitaktivistin, die diese Woche mehrmals in der Nacht aufgestanden ist, weil sie eine Benachrichtigung bekommen hat, dass diese und jene Grafik für morgen noch vorbereitet werden muss! Nein, ich ziehe nicht wirklich eine Grenze, aber ich sollte wahrscheinlich. Mein ganzes Freundesumfeld besteht aus AktivistInnen.
9. Wie können Sie entscheiden, was für Sie richtig ist?
Ich setze mich dafür ein, was gerade am wichtigsten ist, und wo ich sehe, dass gerade am meisten Hilfe und Solidarität gebraucht wird. Wenn zum Beispiel gerade Moria die Missstände im Flüchtlingslager besonders prekär sind, dann spricht auch FFF und somit ich darüber.
10. Muss Aktivismus radikal sein, um Veränderungen erzielen zu können?
Ich vergleiche es mit den Maßnahmen, die es braucht, dass Menschen vegan werden. Ich kenne wenige Personen, die vegan geworden sind, ohne, dass sie irgendetwas Radikales gesehen haben, was sie zum Umdenken gebracht hat. Meistens sind es die Dokumentationen, wo sehr viel Brutalität ohne Blümchen gezeigt wird, die Menschen zum Umdenken bringen. Es erzeugt auch sehr viel Abneigung unter Menschen, die derartige Bilder nicht sehen wollen, die damit nicht konfrontiert werden möchten.
11. Würden Sie sagen, dass es kulturell bedingte Unterschiede gibt, was den Stellenwert von Aktivismus in der Gesellschaft betrifft?
Obwohl wir bei FFF generell in Lokalgruppen agieren, findet auf Stadt- und Landesebene ein sehr großer Austausch statt. Wir teilen viele Aktionsformen und schauen voneinander ab, was funktioniert und was nicht. Wir haben einfach extrem viele Ressourcen, und dadurch viele Köpfe, die gleichzeitig an etwas arbeiten. Hinter der Ausführung einer Aktion steckt dann teilweise nicht nur ein Land, sondern ganz Europa, und das macht uns so groß und stark, und das ist auch das, was Länder unterstützt, die es nicht so einfach haben. Aktivismus schaut überall ein bisschen anders aus. FFF China kann beispielsweise nicht einfach genauso arbeiten wie wir, die sind mit einem komplett anderen Mindset und anderen gesellschaftlichen Normen und politischen Regelungen aufgestellt. Bei FFF Russland wissen wir, dass immer nur eine Person demonstrieren darf weil alles über zwei Personen verboten wäre.
12. Welche sind die wichtigsten Aktionsformen für Sie?
Wir haben ein enormes Glück, weil wir einen sehr krassen Online-Auftritt haben, und deswegen auch online sehr viele mobilisieren konnten. Das erste, was wir gemacht haben, als der erste Lockdown im März stattgefunden hat, war eine Streikschilder Aktion auf Social Media, wo Menschen zuhause selbst Schilder basteln und in die Kamera halten, mit einer Message an die Politik. Die Parteien folgen uns auf Social Media und sehen was wir teilen – sie sehen unsere Forderungen, auch wenn wir nicht vorm Parlament stehen.
13. Ist die Digitalisierung das wichtigste Mittel ist, um die Erfolge zu erreichen?
Ja, als Social-Media-Managerin wäre es auch blöd, etwas anderes zu sagen. Ich habe gesehen, dass es das Effektivste, das Richtige für mich und die Bewegung ist. Ich will nicht sagen, dass Printmedien nicht auch ihre Daseinsberechtigung haben, die sprechen eben eine andere Zielgruppe an.
14a Für wie wichtig halten sie denn Figuren wie Greta Thunberg, Martin Luther King oder Gandhi für den Erfolg einer Bewegung?
Wir können auch autonom von Greta Thunberg Position einnehmen. Bei FFF haben alle dieselbe Stellung, und auch wenn man es vielleicht nicht glauben möchte, wenn beispielsweise ein Datum für den nächsten Großstreik festgelegt werden muss, hat sogar Greta Thunberg dieselbe Ein-Personen-Stimme wie alle anderen.
14b Gibt es Vorteile oder Nachteile?
Greta Thunberg kann sehr gute Reden halten, sie macht das vor Personen und PolitikerInnen, zu denen wir ohne ihren Bekanntheitsgrad nicht so einfach Zugang zu bekommen würden. International gesehen und zu unseren Relations zu großen Organisationen und PolitikerInnen hat sie sicher einen Impact, auch auf die Trolls.
15. Sind Sie trotz Corona-Krise und trotz der Folgen des Klimawandels zuversichtlich, dass die Welt allgemein besser wird?
Ich glaube, es ist schwierig aus dieser Krise herauszukommen, vor allem weil wir momentan so wenig dafür tun. Es ist fraglich, wie sich die Welt verändern wird. Ich glaube auf keinen Fall, dass es besser wird als jetzt, aber wir können einiges verhindern.
16. Enthält die Corona-Krise verborgene Potentiale?
Wir haben im digitalen Raum auf jeden Fall mehr Möglichkeiten und eine größere Plattform. Die Leute haben Zuhause womöglich mehr Zeit, sich damit zu befassen. Es gibt sicher ein paar positive Sachen, aber wir wollen bald alle wieder auf die Straße gehen. Viele Menschen haben erkannt, dass wir schnell Maßnahmen umsetzen können, wenn es Menschenleben betrifft. Man kann jetzt auf jeden Fall sagen: Wenn wir die ganze Welt schnell in einen Lockdown bringen konnten, warum können wir dann zum Beispiel auch von heute auf morgen entsprechende Maßnahmen implementieren um unsere CO2-Emissionen um ein Vielfaches reduzieren?
17. Beschreiben Sie die Zukunft in einem Wort.
oida
BARBARA LAA (*1991) …
ist eine österreichische Aktivistin mit Schwerpunkt auf Mobilität und Verkehrswesen. Sie hat an der TU Wien den Bachelor und Master in Bauingenieurwesen absolviert, arbeitet derzeit in Forschung und Lehre am Institut für Verkehrswissenschaften und nebenbei an einer Dissertation.
2014... Teil-Projektleiterin des Projekts Hypotopia
2014/16... Online - Mentorin der TU-Wien, Genderfair
2017... Korallenriff-Konservierung bei REEFolution in Kenia
2020... Sprecherin der Initiative Platz für Wien
1. Was bedeutet Aktivismus allgemein für Sie persönlich? Beginnt er, Ihrer Meinung nach, schon bei einem privaten Gespräch, oder muss man aktiv in einer Organisation tätig sein?
Für mich bedeutet Aktivismus, dass man sich aktiv für Veränderung einsetzt, und ich würde das eigentlich weiter fassen, als in einem privaten Gespräch wo man Meinungen austauscht. Ich glaube man muss sich nicht einer Organisation anschließen, aber Aktivismus hat schon etwas Öffentliches.
2. Wann sind Sie persönlich mit Aktivismus in Berührung gekommen? Gab es ein Schlüsselereignis?
Den Ausschlag hat ein Studienkollege gegeben, der eine Idee zu einem aktivistischen Projekt hatte, das ich sehr gut fand, und bei dem ich unbedingt dabei sein wollte.
3. Welche Kategorien des Aktivismus halten Sie derzeit für besonders wichtig?
Mir persönlich liegt natürlich die Verkehrswende, also die sozial und ökologisch nachhaltige Umgestaltung des Verkehrssystems, am meisten am Herzen. Ich habe das Gefühl, dass das ein sehr großes, gesellschaftliches Problem darstellt, und auch mit politischen Themen und Umweltschutz verknüpft ist. Das sind alles sich gegenseitig beeinflussende Themen, wo man nicht sagen kann, dass das eine wichtiger als das andere wäre; sie müssen alle adressiert werden.
4. Haben Sie das Gefühl, dass ihre Anliegen und Methoden in der Allgemeinbevölkerung ausschließlich auf Zuspruch treffen?
Von meinem Gefühl her eher Zuspruch, das hat aber wahrscheinlich auch damit zu tun, dass ich mich an Kreise wende, wo eher Zuspruch zu erwarten ist. Bei Platz für Wien agieren wir auf Social Media in einer Bubble, in der wir sehr viel Zuspruch erhalten. Wenn wir bei einer Anti-Radweg-Demo auftreten würden, würde es wahrscheinlich anders aussehen. Bei Fernsehberichten, durch die man auch Leute außerhalb dieser Bubble erreicht, kamen vereinzelt auch negative Kommentare - aber erstaunlich wenige.
5. Wie kann die Bequemlichkeit, die bestehende Situation zu akzeptieren, überwunden werden?
Ich beschäftige mich auch beruflich mit der Frage, wie man Veränderung bewirken kann und wo es potenzielle Hebelpunkte im System gibt. Meine Schlussfolgerung ist, dass auf Fehler und Schwierigkeiten im derzeitigen System hingewiesen werden muss.
6. Wie kann man den Ruf von Aktivismus verbessern bzw. einer breiteren Masse zugänglich machen?
Wenn Menschen viel Positives von AktivistInnen hören und lesen, sind sie vielleicht motivierter, sich zu engagieren. Ich habe aber auch das Gefühl, dass Aktivismus mit Fridays for Future (FFF) schon heute eine breite Masse erreicht hat.
7. Sie wollen mit Ihrer Initiative erreichen, dass die Stadt mehr Fahrradwege und Plätze für die Bevölkerung schafft, und das allgemeine Empfinden sei, dass die Politik da generell im ersten Moment dagegen steuert. Sind machtorientierte Handlungen und ethische Handlungen immer ein Gegensatz?
Ich denke schon, dass die Politik Ziele verändern kann. Das Problem gerade im Verkehrssystem ist, dass wir Pfadabhängigkeiten haben. Das heißt, es gab Entwicklungen in der Vergangenheit, die das System dahin gelenkt haben, wie es ist. Dadurch entstehen sogenannte Lock-In-Effekte: Das System wird immer starrer, und selbst wenn PolitikerInnen in der Stadtregierung mehr Fahrradwege planen möchten, gibt es einen Systemwiderstand. Wir haben ein System mit Gesetzen und einem Finanzierungssystem geschaffen, das dem Auto gewisse Privilegien einräumt. Ich glaube nicht, dass EntscheidungsträgerInnen ausschließlich durch Geld oder Macht motiviert sind und gar nicht anders handeln können, sondern dass das System sie in gewissem Maße einschränkt. Es gibt einen Handlungsspielraum, und man kann versuchen, das System von Innen heraus zu verändern, das würde aber nicht reichen. Es braucht den Druck von unten, aus der Zivilbevölkerung, weswegen ich persönlich mich auch aktivistisch engagiere. Solche Bewegungen können EntscheidungsträgerInnen und PolitikerInnen, die progressiv denken, den notwendigen Zuspruch geben, das System zu ändern.
8. Können Sie eine klare Grenze ziehen zwischen Ihrem Aktivismus und Ihrem Privatleben, oder lässt sich das nicht voneinander trennen?
Die Abgrenzung ist sehr schwierig, weil ich beruflich an der Uni zum Thema forsche, der Aktivismus aber eigentlich getrennt davon ist. Ich habe dadurch eine gewisse fachliche Expertise, bin aber als Privatperson in meiner Freizeit aktivistisch tätig, und da das im letzten Jahr viel Zeit in Anspruch genommen hat, hatte das einen großen Effekt auf mein Privatleben.
„Ich bin dankbar für Organisationen wie System Change not- Climate change und Extinction Rebellion, weil Platz für Wien dadurch gemäßigter erscheint […]“
9. Wie können Sie entscheiden, was für Sie richtig ist?
Als Wissenschaftlerin entscheide ich natürlich auf Basis von wissenschaftlichen Erkenntnissen bzw. meinem ethischen Verständnis, das ja auch beeinflusst wie ich wissenschaftliche Ergebnisse einordne. In Hinsicht auf den Klimawandel und die Verkehrswende ist es recht eindeutig wo wir hinmüssen - beim Weg dahin sind sich nicht alle einig.
10a Muss Aktivismus radikal sein, um Veränderungen zu erzielen?
Platz für Wien ist nicht besonders radikal, wir machen nur legale Demonstrationen, führen Gespräche mit PolitikerInnen, und selbst unsere Forderungen sind gemäßigt. Ich glaube aber, dass es auch radikalen Aktivismus braucht, und es ist sinnvoll, unterschiedliche Formen zu haben. Ich bin Organisationen wie SystemChangenotClimatechange und Extinction Rebellion dankbar, die ihre Anliegen mit zivilem Ungehorsam vertreten, weil Platz für Wien dadurch gemäßigter erscheint und vielleicht eher umgesetzt wird.
10b Würden Sie sagen, dass Radikalität eher jüngere Leute anzieht?
Ich kann mir vorstellen, dass jüngere Leute offener sind, und sich eher einen kompletten Systemwandel vorstellen können, als ältere Leuten, die schon jahrzehntelang in diesem System sind und ein bisschen abgestumpft sind was das anbelangt.
11. Sie haben ein Erasmus-Semester in Frankreich absolviert und waren ehrenamtlich in Kenia tätig. Würden Sie sagen, dass es kulturell bedingte Unterschiede gibt, was den Stellenwert von Aktivismus in der Gesellschaft betrifft?
Ja, ich glaube es gibt einen Unterschied, und ich glaube das hat viel mit dem Demokratieverständnis zu tun. Bevor ich mich bei Platz für Wien engagiert habe, war mir gar nicht bewusst, was für eine Rolle die Zivilgesellschaft in einer Demokratie hat. Ich war in den anderen Ländern nicht aktivistisch tätig, aber in Kenia ist die Demokratie nicht so selbstverständlich wie in den meisten Teilen Europas - das limitiert auch, wie sich die Leute engagieren. In Frankreich hatte ich das Gefühl, dass praktisch jeder der französischen Studierenden in irgendeiner „association“ (Anm.: Vereinigung) tätig war, in denen sie sich im Alltag für verschiedene Anliegen engagiert. Ich hatte das Gefühl, dort herrscht ein größeres Bewusstsein dafür, dass man seine Meinung vertreten muss, auch in der Öffentlichkeit.
12. Hat seit Ihrer ersten Erfahrung mit Aktivismus im Studium ein Wandel stattgefunden?
Für mich persönlich hat es sich wahrscheinlich noch mehr in die Sozialen Medien verlagert. Das kann aber auch daran liegen, dass durch die Corona-Pandemie nicht mehr so viel im öffentlichen Raum möglich war.
13. Welche sind die wichtigsten gegenwärtigen Aktionsformen für Sie?
Durch Corona haben wir unsere Strategie geändert: Wir sind zuerst nur online an die Öffentlichkeit gegangen und haben auch die Möglichkeit geschaffen, dass man online unterschreiben kann. Erst später sind wir dann auf die Straße gegangen und haben dann auch kleinere Aktionen im öffentlichen Raum gemacht. Wir haben mit Social Media unsere eigenen Medien geschaffen, wo wir alles posten können, was wir wollen. Aber auch die traditionellen Medien, vor allem Zeitungen und Fernsehberichte, waren wichtig, da wir darüber viele Leute erreicht haben, die dann auf Social Media unsere Follower geworden sind. Ein weiterer wichtiger Aspekt waren die persönlichen Gespräche mit den BezirksvorsteherInnen, im Zuge welcher wir zahlreiche Missverständnisse im Diskurs mit der Politik aufklären und notwendige Maßnahmen erläutern konnten.
14. Für wie wichtig halten sie den Digitalisierungsgrad für den Erfolg einer Organisation? Hat sich die Bedeutung von Printmedien im Laufe der Zeit gewandelt?
Ich glaube, dass die Printmedien auf jeden Fall weniger wichtig sind als früher. Es hat sich eine Art Versäulung etabliert, durch die man nicht mehr mit einem Medium allein an die breite Masse herankommen kann. Durch die Algorithmen von Facebook und Instagram sieht der Nutzer immer nur das, was in die gleiche Denkrichtung geht. Das kann jetzt für uns einerseits ein Vorteil sein, weil wir unsere Zielgruppe gut erreichen, es findet aber auch kein Austausch statt.
15. Sie sind Sprecherin für die Organisation “Platz für Wien” und stehen damit im direkten Kontakt mit der Öffentlichkeit. Gibt es Vorteile oder auch Nachteile von Ikonen, also von repräsentativen Persönlichkeiten?
Bei Platz für Wien haben wir uns dazu entschlossen, mehrere SprecherInnen zu haben, die nach Außen auftreten; einerseits um zu zeigen, dass wir eine breite Bewegung sind, die auch von mehreren Bevölkerungsschichten getragen wird, und weil wir auch niemandem die Einzelverantwortung überhängen wollten. Ob es jetzt mit einer Ikone anders gelaufen wäre, kann ich nicht sagen; für mich persönlich ist es so besser.
16. Für wie wichtig halten sie dann Figuren wie Greta Thunberg, Martin Luther King oder andere für den Erfolg einer Bewegung?
Ich glaube, Ikonen können viel bewirken, weil dann mit einem Menschen eine Bewegung assoziiert wird, und das macht es irgendwie nahbarer. Das kann viel für die Reichweite dieser Bewegungen bewirken, Für die Person, die diese Ikone darstellt, kann es schwierig sein.
17. Sind Sie trotz Coronakrise und der Folgen des Klimawandels zuversichtlich, dass die Welt allgemein besser wird?
Nachdem ich mich als Optimistin sehe, muss ich hier natürlich Ja sagen. Was wäre die Alternative? Dass ich nicht daran glaube, dass es besser wird? Dann lohnt es sich auch nicht mehr, dafür zu kämpfen. Wie bereits gesagt, es braucht einen Systemwandel, nicht nur im Verkehr, sondern auch im Wirtschaftssystem, um die Welt wirklich besser zu machen. Ich sehe erste Ansätze, es sind mehr Leute aktiv, das sehe ich als sehr positives Zeichen.
18. Durch die Corona-Krise verlagert sich das öffentliche und private Leben der Bevölkerung zum großen Teil nach Drinnen. Büßt Aktivismus durch die Pandemie an Aufmerksamkeit und Engagement des Einzelnen ein, oder sehen Sie vielleicht sogar verborgene Potentiale?
Ich glaube, dass bei den Leuten ein neues Bewusstsein erwacht ist. Viel mehr Leute waren spazieren und auf das Fahrrad umgestiegen, weil sie aufgrund der Ansteckungsgefahr nicht mehr mit den offensichtlich Verkehrsmitteln fahren wollten. Dadurch haben sie den öffentlichen Raum schon mal anders wahrgenommen.
19. Beschreiben Sie die Zukunft in einem Wort.
hoffnungsvoll
MARTIN BALLUCH (*1964) …
ist ein österreichischer Aktivist mit Schwerpunkt auf Tierrecht. Er studierte an der Universität Wien Mathematik und Astronomie, promovierte in Heidelberg und arbeitete anschließend an der Universität Cambridge als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Forscher. 2005 schloss er zusätzlich ein Philosophiestudium mit Fokus auf Tierrechtsphilosophie ab.
1978... Kampagne gegen Atomkraftwerke
1979... Besetzung und Festnahme bei der Besetzung des Burggartens
1984... Besetzung der Hainburger Au
1999... Gründung der Veganen Gesellschaft Österreich
2008... Untersuchungshaft
2010/11... Tierschutzprozess*
* Der Wiener Neustädter Tierschützerprozess war ein strafrechtliches Verfahren gegen zahlreiche TierschutzaktivistInnen im Zeitraum von Mai 2010 bis März 2011. Den AktivistInnen wurde die Gründung einer kriminelle Organisation nach § 278a vorgeworfen.
1. Was bedeutet Aktivismus allgemein für Sie persönlich? Beginnt er ihrer Meinung nach schon bei einem privaten Gespräch oder muss man aktiv in einer Organisation tätig sein?
In einer Organisation muss man nicht tätig sein, man kann auch in losen Verbänden aktiv werden, aber ich denke schon, dass Aktivismus einen politischen Aktivismus umfassen muss, weil unter vier Augen zu reden das System nicht verändert. Für eine Systemveränderung muss man einfach die Botschaften breiter streuen und eine Aktivität haben, die nicht nur ein Mensch hört.
2a. Wann sind Sie denn persönlich mit Aktivismus in Berührung gekommen? Gab es da ein Schlüsselereignis in ihrem Leben?
Schlüsselereignis nicht. Der allererste Aktivismus und auch die erste Festnahme war für mich die Besetzung des Burggartens in Wien 1979, weil dort niemand wollte, dass sich überhaupt Jugendliche ansammeln. Man hat die einfach ununterbrochen disziplinieren wollen. Und wir wollten einen autonomen Bereich haben, wo wir uns selbstbestimmt organisieren können - und das war für uns der Burggarten.
3. Heute sind Sie ja hauptsächlich im Tierschutz aktiv. Sind Sie mit dem momentanen Stellenwert von Tierschutz-Aktivismus in Österreich zufrieden?
Der Tierschutz-Aktivismus ist innerhalb der Aktivistenszene in den 1990er Jahren lange Zeit belächelt worden. Ich würde sagen: Für mich hat diese Emanzipation bei der Besetzung der Hainburger Au stattgefunden. Bis dahin lief Tierschutz unter dem Thema ökologische Ethik, aber dass man über Artenschutz und Umweltschutz hinaus auch Tiere individuell schützt, war irgendwie eine neue Idee.
4. Haben Sie das Gefühl, dass ihre Anliegen und auch ihre Methoden in der Bevölkerung auf Zuspruch treffen, oder gibt es da auch viel Widerstand?
Das ist auch ein Entwicklungsprozess. Dieser große Tierschutzprozess gegen uns wurde ja wahrscheinlich deswegen eingeleitet, weil wir den Leuten einerseits auf die Nerven gegangen sind, und weil man sich andererseits gedacht hat, es wäre möglich uns zu isolieren und aus der Aktivismus-Szene herauszuschneiden und einfach wegzusperren. Das ist zum Glück nicht ganz gelungen. Es war dann doch eine breite solidarische Bewegung, weil viele Dinge, die wir gemacht haben, irgendwie neu waren. Durch solche Dauerdemos, durch penetrantes Fordern, dass sich die Leute ändern sollen, haben wir sehr unsympathisch gewirkt. Man braucht aber die Sympathie der Öffentlichkeit, um nicht zertrampelt zu werden.
„Für mich ist Fridays for Future ein bisschen ein Revival des Österreich der späten 70er und frühen 80er Jahre“
5. Woran, glauben Sie, liegt es, dass vielen Menschen der innere Ansporn fehlt, gegen Missstände und Ungerechtigkeiten aktiv vorzugehen?
Was mir auffällt ist, dass die meisten Menschen, die sich engagieren nach 1-2 Jahren wieder weg sind, egal in welchem Bereich sie aktiv sind. Das Zweite ist, dass man zu Beginn meistens glaubt, man hat jetzt gerade erkannt, was das Problem in der Welt ist, und man braucht es den anderen nur sagen, die erkennen es dann auch, und das Problem ist gelöst. Das ist natürlich überhaupt nicht so. Das frustriert natürlich, und dann gehen sie wieder und suchen sich andere Betätigungsfelder. Das Dritte ist, dass man viel Zeit braucht und natürlich auch ein bisschen außerhalb der Gesellschaft stehen muss, weil man sonst rasch Besitze, die man hat, verliert.Die Lebensentwürfe vieler Menschen stehen in Widerspruch zu aktivistischen Forderungen.
6a. Aktivismus kann also gar nicht für eine breitere Masse zugänglich werden, weil sich das mit den meisten Privatleben nicht vereinbaren lässt?
Ja, ich fände es irrsinnig toll, wenn die Demokratie so lebendig wäre, dass sich zu allem Gruppierungen finden, die dann auch wirklich aktiv sind. Wir als Verein gegen Tierfabriken haben 22.000 aktive Mitglieder. Die Leute sagen, sie haben leider nicht die Zeit, die Aktivitäten zu machen, aber sie verdienen Geld und geben ein wenig was davon ab, damit andere nicht arbeiten müssen und die Aktivitäten machen können. Das ist das System, das wir da verfolgen.
6b. Sehen Sie die Unterstützung dieser 22.000 Menschen bereits als aktivistisches Handeln?
Nein, das ermöglicht Aktivismus, aber das ist nicht als Aktivismus zu sehen. So ein Daueraktivismus, wie wir das machen, der ist glaube ich nicht massentauglich. Meine Gegner sagen oft, “Ihr seid ja nur 15 Leute die da stehen.” Dann sage ich“Heast, wir stehen da auch fünfmal in der Woche. Welcher Mensch, der arbeitet, kann sowas machen? Geht ja nicht. Da braucht‘s euch nicht wundern.”
7a. Sind machtorientierte und ethische Handlungen immer ein Gegensatz, oder können diese auch miteinander vereinbart werden? Wie kann das erreicht werden?
Das ist die Frage, ob der Kapitalismus sozusagen das Hauptproblem ist. Ich glaube nicht, weil die als realsozialistisch verstandenen Gesellschaften ja auch nicht besonders tierfreundlich, umweltfreundlich oder klimafreundlich waren. Kapitalistische Grundeinstellungen führen zu großen Einheiten von multinationalen Konzernen, die oft große Schäden verursachen und deswegen automatisch zu einer Art Gegner werden. Es gibt aber auch Neugründungen von Firmen, die die soziale Alternative auf dem Markt umsetzen wollen. Ich denke z.B. an Swing Kitchen; das ist eine Kette von Fast-Food-Restaurants, die eben grundsätzlich vegan ist, kein Plastik verwendet und versucht einen anderen ethischen Zugang zu haben
7b. Zeigt sich dadurch in gewisser Weise ein allgemeines Umdenken, wenn solche alternativen Angebote von der Bevölkerung auch gut angenommen werden?
Ich habe die These, dass man die Menschen erreichen kann und sie sich geistig ändern, nicht aber in ihrem Verhalten, da das Verhalten durch das System bestimmt ist. Das System kann man auf politischer Ebene ändern, indem man durch Verbote Weichen stellt, oder man jubelt den Leuten einfach die Alternativen unter, die zu einem ähnlichen Preis angeboten werden, aber ethisch kompatibler sind. Ich weiß nicht, ob das letztlich im großen Stil funktioniert. Das hängt vielleicht auch davon ab, ob diese Techniken gut und günstig genug sind, und ob sie bestehen können im kapitalistischen Konkurrenzkampf.
8. Können Sie eine klare Grenze ziehen zwischen Ihrem Aktivismus und Ihrem Privatleben?Ich sehe schon einen Unterschied. Die 68er Bewegung hat ja unter dem Slogan “Das Private ist politisch” stattgefunden. Was damit gemeint war ist, dass das eigene Handeln das System mitträgt. Heute würde ich eindeutig sagen: Das reicht nicht. Um die Welt zu ändern, müssen politische, systemimmanente Aspekte betrachtet werden.
„Vor zehn Jahren hätte ich fast ein Buch geschrieben, das geheißen hätte ,das neue Biedermeier ist ausgebrochen‘.“
9a. Wie können Sie entscheiden, was für Sie richtig ist? Ist die Frage, wie eine ideale Gesellschaft aussehen sollte immer eindeutig zu beantworten?
Nein, ich finde das nicht so leicht. Da gibt es viele Fragen, die man sich immer wieder stellen muss. Es wäre schön, wenn die Politik oder die Ethik so exakt wie die Mathematik wäre, dann könnte man sich weltweit rasch einigen. Man darf nicht ein Prinzip verfolgen, das man bis zum letzten Punkt verfolgt, sondern muss immer tolerant und offen für Ausnahmen oder für individuelle Situationen bleiben.
9b. Beim Umwelt- oder Klima-Aktivismus kann man sich ja wenigstens auf wissenschaftliche Erkenntnisse stützen. Ja, aber da gibt es auch Diskussionen, wie z.B. ist ein Elektroauto gut oder schlecht. Es ist natürlich besser als ein Benziner oder ein Diesel-Auto. Aber am besten wäre es wohl, man würde überhaupt nicht Autofahren.
10. Muss Aktivismus auf die Nerven gehen, um Veränderungen erzielen zu können?
Ja. Eindeutig! (lacht) Freundlicher Aktivismus kann Herzen und Hirne gewinnen, aber das reicht nicht für eine Systemänderung. Um eine Systemänderung zu erreichen, muss man einen konstruktiven Konflikt vom Zaun brechen und die etablierte Elite herausfordern, dass sie einem zuhört und bereit ist, eine Systemänderung ins Auge zu fassen. Das machen die nicht von sich aus, sondern nur, wenn es ein Problem gibt, weil sie innerlich überhaupt nicht ethisch motiviert sind.
11. Sie haben über ein Jahrzehnt in Großbritannien gearbeitet und waren auch längere Zeit in Deutschland. Würden sie sagen, dass es kulturell bedingte Unterschiede in diesen Ländern gibt, was den Stellenwert von Aktivismus in der Gesellschaft betrifft?
Ja, schon, auf jeden Fall. Österreich war bis in die 2000er Jahre ein irrsinnig konservatives Land, das Aktivismus sehr negativ bewertet hat. England war, meinem Gefühl, nach mit Abstand am offensten - dort darf man jederzeit und überall anonym demonstrieren ohne es der Polizei zu melden. Da war eine große Offenheit für Demonstrationen zu spüren, und es war auch ein internationales Flair. Aber selbst innerhalb von Österreich gibt es ein großes Gefälle, wenn man zum Beispiel in ländliche Regionen geht oder in bestimmte Bundesländer wie Vorarlberg oder das Burgenland.
12. Wo liegt denn, ihrer Ansicht nach, der größte Unterschied zwischen dem Aktivismus der 1980er Jahre (z.B. Hainburger Au) und den aktuellen Bewegungen (z.B. Fridays for Future)?
Das ist eine sehr interessante Frage. Fridays for Future ist ein erfrischendes Aufleben der Jugendbewegungen der 1970er, die mit einer eigenen Lebenseinstellung einhergingen, und bei der man einer konservativen Mehrheitsgesellschaft gegenüberstand, die gegen Demonstrationen eingestellt war; das ist heute deutlich weniger, glaube ich. Was mir auch auffällt ist, dass die Unis heute viel verschulter sind. Damals konnte man an der Uni freier studieren, wodurch es mehr Freiraum gab, sich politisch zu engagieren.Vor zehn Jahren wollte ich ein Buch schreiben, das geheißen hätte “Das neue Biedermeier ist ausgebrochen”, also dass wir wieder so brav bürgerlich werden und den Polizeistaat akzeptieren - Österreich war der erste Polizeistaat, der mit Überwachung begonnen hat. Ich hatte das Gefühl, die Leute ziehen sich wieder ins Privatleben zurück, weil es einen reaktionären Druck gibt. Eine ganze Reihe von Gruppierungen greifen jetzt wieder auf zivilen Ungehorsam zurück und machen Blockaden - das finde ich toll. Für mich ist es ein bisschen ein Revival des Österreich der späten 1970er und frühen 80er Jahre.
13. Haben sich die Aktionsformen gewandelt, oder sind sie in ihrer Strategie gleich geblieben?Grundsätzlich kommen mir die Methodiken und Taktiken sehr ähnlich vor, wie sie in den 1980ern auf der Basis der Grundideen des zivilen Ungehorsams von Martin Luther King aus den 1950er und 60er Jahren entwickelt worden sind. Mir ist nicht bekannt, dass es irgendwelche Taktiken gäbe, die man nicht in den Achtzigern auch schon verwendet hat. Außer natürlich Online-Aktivismus.
14. Der Erfolg von vielen Aktionen der Vergangenheit beruht auf einer großen Medienresonanz. Denken Sie, dass sich die Bedeutung der Printmedien im Laufe der Zeit sich verändert hat? Und was ist Ihre persönliche Haltung zu modernen Kommunikationsformen wie Social Media oder Hashtags?
Wenn ich die Zeit Revue passieren lasse, dann war das in den Achtziger und Neunziger Jahren so, dass wir Aktionen gemacht haben, die dann auch wirklich breit von den Medien getragen wurden. Ich habe das Gefühl, dass die Medien immer weniger von AbonnentInnen finanziert werden, als von Werbung. Das bedeutet, dass man vom good will der WerbekundInnen abhängt. Die größte Gefahr in den sozialen Netzwerken ist, dass man komplett in der eigenen Bubble bleibt, wo alle anderen ausgeschlossen oder gesperrt werden.
15. Sie sind selbst zu einer Schlüsselfigur des österreichischen Aktivismus im Tierschutz geworden und stehen damit in der Öffentlichkeit. Ist Ihnen recht, ein repräsentatives Gesicht einer Bewegung zu sein? Hat es auch Nachteile?
Es hat riesige Nachteile. Früher hätte ich das auf keinen Fall machen wollen, aber dann ist es unvermeidbar geworden, und ich habe mir irgendwie gedacht, das ist vielleicht auch eine Möglichkeit, den Anderen Schutz zu bieten. Ich kann den Polizisten sagen “Ich bin eh bekannt”, dann brauchen sie sich für die anderen nicht interessieren. An einem typischen Tag reden mich 4-5 Leute an, und ich kann mir nichts unbemerkt leisten. Man kann einfach nicht mehr man selbst sein. Ich würde stark dafür plädieren, anonym zu bleiben. Es sollte nicht einen erkennbaren Kopf geben, den man klagen oder abschlagen kann.
„Corona ist eine Zoonose, eine Pandemie, die durch die Nutzung von Tieren entstanden ist.“
16. Für wie wichtig halten sie dann Figuren wie Greta Thunberg, Martin Luther King oder andere für den Erfolg einer Bewegung?
Solche Leute sind natürlich wichtig, das merkt man an Parteien. Eine Partei gewinnt plötzlich, wenn es eine Persönlichkeit gibt, auf die sich die Leute beziehen können. Zum Beispiel Sebastian Kurz. In einer sozialen Bewegung sollte diese Person nicht wirklich eine Rolle spielen.
17. Zum Abschluss würden wir gerne noch ein bisschen über die aktuelle Lage und die Zukunft reden. Durch die Corona-Krise hat sich zum Beispiel die prekäre Situation der Nerz-Zuchtfarmen in Dänemark offenbart, oder auch bei den Fleischproduktion-Großunternehmen, wie Tönnies in Deutschland. Würden Sie sagen, dass trotz aller negativen Folgen, Potenziale oder Möglichkeiten bestehen, auf den Tierschutz aufmerksam zu machen?
Corona hat uns als Aktivistinnen, sehr gehemmt, weil wir nicht auf der Straße stehen können; wir sind aber eigentlich trotzdem ein Corona-Gewinner. Nicht nur, weil wir keine Einbußen in den Spenden hatten, sondern auch durch das, was Sie angesprochen haben. Corona ist eine Zoonose, eine Pandemie, die durch die Massennutzung von Tieren entstanden ist. Es ist wichtig zu verstehen, dass diese Tiernutzungen im großen Stil eine Sackgasse darstellen und auch sehr gefährlich sind. Auch in Österreich hat man gemerkt, dass das Orte sind, die offensichtlich nicht der Gesundheit zuträglich sein und wo auch Menschen nicht menschenrechtskonform behandelt werden. Man sieht plötzlich, man muss eigentlich nicht so viel reisen oder rumfliegen. Man könnte daraus lernen, dass man doch die Gesellschaft, das System an Klimabedingungen anpassen kann ohne einen großen Einschnitt im persönlichen Leben. Die Hoffnung ist, dass wir das letztlich irgendwie tun.
18. Sie sind also trotz der Klimakrise und der Pandemie zuversichtlich, was die Zukunft Österreichs und der Welt angeht?
Puh, naja. Also zuversichtlich zu sein, dass wir es schaffen, den Klimawandel zu stoppen, ist sehr schwierig, wenn ich mir anschaue, was wir so treiben. Aber dass Änderungen möglich sind, das sieht man bei der Corona-Krise und das sollte uns schon zuversichtlich stimmen.
19. Beschreiben Sie die Zukunft in einem Wort.
Ungewissheit