„Wir müssen auf Erinnerungen zugreifen können, um reflektieren zu können wer wir sind. Das kulturelle Gedächtnis spielt in dieser Gleichung eine wichtige Rolle.“Ekaterina Winter sieht die Architektur als Erinnerungsträger. Ihre Diplomarbeit Past Forward erzählt von sowjetischen Massen- wohnbauten der Nachkriegszeit, und sie behandelt Fragen der Erhaltung.
„Welche Bilder hast du im Kopf, wenn du
an diese riesigen Wohnbauten denkst?“, frage ich sie. Ihr Blick schweift nach oben, und dann schaut sie mich wieder an. Lange muss sie nicht, überlegen, die Antwort auf meine Frage kommt intuitiv. „Wir Alle haben Erinnerungen an den Ort, wo wir als Kinder aufgewachsen sind.“ Wenn Ekaterina an ihre Heimat denkt, sieht sie sich und ihre Familie in der Wohnanlage, in der sie als Kind lebte.Die Bilder vor ihrem Auge sind gestochen scharf. „Ich habe mir nie gedacht ‚mah, das ist alles so klein‘, als Kind sieht man das an- ders. Die 35 m2 sind wunderbar und du hast sogar dein eigenes Zimmer.“ Der Freiraum zwischen den Plattenbauten ist grün. Im Innenhof steht ein Apfelbaum. „Ich kletterte auf den Apfelbaum“, sagte sie, „es war toll!“. Wir waren uns einig: Als Kind hat man ein- fach eine unbefangene Sichtweise.
Ekaterina ist gebürtige Russin. Bevor sie in Wien mit dem Masterstudium Raumplanungbegann, diplomierte sie in Moskau in Archi- tektur. „Ich wollte die Diplomarbeit unbe- dingt in Bezug zu meiner Herkunft schrei- ben“, antwortet sie, als ich frage, wie sie zu ihrem Thema kam.„Grundsätzlich geht es darum, dass wir auf unsere Geschichte nicht so einfach verzichten können, und dass wir das Vor- handene in der Stadt zu respektieren lernen, auch wenn es ästhetisch nicht besonders ansprechend ist.“In Russland werden zur Zeit viele Bauten der sowjetischen Nachkriegszeit abgeris- sen, um neue Anlagen zu errichten. „Die Geschichte der Sowjetunion darf keiner in Erinnerung haben, das finde ich politisch schwach“, sagt sie entschieden und hält kurz inne, „wir brauchen die gebauten his- torischen Schichten in der Stadt, um unser kulturelles Gedächtnis wahren zu können. Das sind Anhaltspunkte, in denen wir uns wiedererkennen und referenzieren können.“
In Ihrer Diplomarbeit sieht Ekaterina einen Ansatz darin, den Ruf der Gebäude von der schlechten, nicht mehr zeitgemäßen Bau- substanz zu trennen. „In Berlin ist es cool in einer Platte zu leben, das hat mit dem Image zu tun.“ Sie erzählt mir Geschichten von jungen Menschen aus Deutschland und den Niederlanden, die sich explizit für eine Nach- kriegs-Wohnung in einer riesigen Wohnanla- ge entschieden haben. „In einer “Platte’’ zu bleiben ist für Viele in Russland ein Zeichen von “Ich kann mir was anderes nicht leisten“.Die Erfolgsaussicht für Ihr Anliegen sieht sie dennoch gering: „In Moskau die Platte cool zu machen, das kann nicht werden“, sie schüttelt den Kopf und lächelt bestimmt, „dafür braucht es mehr als eine Imagekam- pagne!“