Interview mit Dominik Linhard

Dominik Linhard ist Biologe, seit 10 Jahren bei GLOBAL 2000 tätig und für Themen wie Pestizide und Artenschutz zuständig. GLOBAL 2000 ist eine unabhängige Umweltschutzorganisation in Österreich. Sie kämpfen für eine intakte Umwelt, eine zukunftsfähige Gesellschaft und nachhaltiges Wirtschaften.Mit Global 2000 hat er 2019 die Initiative „Nationalpark Garten“ ins Leben gerufen um ein österreichweites Netzwerk an Naturoasen zu schaf­­fen, die im Verbund eine große Fläche bilden. Diese naturnahen Grün­flächen bieten überlebenswichtige Lebensräume für heimische Ar­t­­en. Das Ziel: „Den Nationalpark Garten“ auf die Fläche eines echten Nationalparks anwachsen zu lassen. Mit der „Pionier Oase“ im 10. Wiener Gemeindebezirk Favoriten hat Global 2000 ihr erstes große Pro­­jekt begleitet. Das Interview wurde am 10.01.2022 von Alexandra Chrobak und Mona Zawosta geführt.

Erzählen Sie doch mal, welchen Stellenwerthat Natur im urbanen Raum Wien derzeit?

Untergeordnet. Der Hauptaspekt liegt, meiner Meinung nach, auf der Funktionalität, die sehr auf die Bedürfnisse der Menschen zugeschnitten sind. In den meisten Planungen stehen die ökologischen Aspekte nicht im Vordergrund. Es gibt immer mehr Planner:innen die sich diesen Themen widmen, aber bisher waren sie nicht vorrangig.

Wie bewerten Sie den Trend eines steigenden Naturbewusstseins?

Ich bin der Meinung, es steigt, aber nicht schnell genug. Bei Straßenprojekten z.B. gibt es jetzt noch Plätze, die versiegelt werden, wo die Grünfläche ziemlich vergessen wird.

Denken Sie, dieser Trend wird in dennächsten Jahren anhalten?

Er wird nicht nur anhalten, er wird sogar mehr werden müssen. Vor allem im Zusammenhang mit der Klimawandel-Thematik. Das Bewusstsein ist da und steigt. Die Grünflächen der Stadt müssen viele wichtige Funktionen erfüllen – da geht es nicht nur um das Artensterben, sondern auch um die Kühlung. Verschiedene Funktionen wie entsiegelte und offene Grünflächen sorgen für Kühlung und können Wasser speichern, das entlastet das Kanalsystem und kann vor Überschwemmungen schützen. Auch Fassaden-und Dachbegrünung werden zwangsläufig mehr werden.

Was könnte sich bis 2048 konkret geändert haben?

Ich denke, es wird ins Auge fallen, dass es mehr Fassaden- und Dachbegrünung gibt. Bei neu gebauten Arealen werden mehr Grünflächen mit eingeplant werden. Die Frage ist, wie diese gestaltet werden. Wenn sie rein auf Funktionalität und Sicherheit aus sind, dann müsste alles aufgeräumt sein; es dürfte kein Totholz herumliegen und keine Äste, denn da bestände dann Verletzungsgefahr. Also: die Qualität dieser Grünfläche ist für mich das große Fragezeichen. Ich glaube, es wird mehr Grünflächen geben, doch wie diese im ökologischen Sinne aussehen, ist die Frage. Es hat schon fünfzig Jahre gedauert, nach den ersten Warnungen in den 1970er Jahren, bis das Thema Klimawandel zur politischen Tagesordnung gehörte. Mittlerweile hat sich das Klimathema in den Köpfen der Menschen verankert, doch das Thema der Artenvielfalt kommt jetzt erst. In den letzten fünf Jahren hat es einen Schwung bekommen, wobei Experten auch schon lange davor warnen. In der öffentlichen Wahrnehmung ist es erst durchdas „Bienensterben“ gekommen – was nur indirekt mit dem Problem zu tun hat. Da die Honigbienen Nutztiere sind, kümmern sich die Imker sowieso um sie.
Doch das Sterben der wildlebenden Arten, wie zum Beispiel Insekten, kommt jetzt erst in die Köpfe der Menschen und es wird noch eine Zeit dauern bis verstanden wird, warum die Artenvielfalt so wichtig ist und daher auch die Grünflächen.

Der Bezug zur Natur spielt in dem Projekt Pionier Oase eine bedeutende Rolle. Wie wurde das Projekt von den Bewohner:innen angenommen? Gab es Vorbehalte dagegen?

Natürlich hat es zu Beginn Zweifel gegeben. Es gab Diskussionen, ob zum Beispielder Lärm des Laubbläsers stören würde.Doch sie sind es dann Schritt für Schrittangegangen.Zuerst haben sie einen Gemeinschaftsgarteneingerichtet zum Gemüseanbauen.Bei solchen Projekten, wie auch inder Pionier Oase, bringt sich meistens nurein Kern der Menschen aktiv ein. Das sindmeiner Erfahrung nach ca. zehn von 100Bewohner:innen. Es war den Bewohner:innenüberlassen, ob sie sich einbringen möchtenoder nicht.Doch die Diskussionen wurden stärker,und es gab einige, relativ wenige, die sichbei der Hausverwaltung beschwerten. MitSorgen wie: Es könnten Insekten in die Wohnungenfliegen, Angst vor Ratten, aber auchob die Grünflächen noch gepflegt aussehen,wenn man sie der Natur überlässt. Doch diemeisten Bewohner:innen hatten Verständnisdafür und haben das Projekt toleriert.
Wie hat sich die Beziehung/Kommuni­kation der Bewohner:innen untereinander ausgewirkt? Hat sich die Nachbarschaft dadurch gestärkt?

Durchaus. Die Hausverwaltung ist sehr engagiert. Es hat eine Plaketten-Verleihung gegeben mit Auszeichnungen. Die Bezirksvorsteher, sowie die Presse sind gekommen. Durch diese Anerkennung steigt die Akzeptanz. Es wird mehr darüber gesprochen, und die Menschen kommen dadurch zusam­men. Durch selbst gebaute Sitzgelegenheiten ist der soziale Kontakt zusätzlich gestiegen.

Gab es Regeln für die Nutzung der Grünflächen?

Normalerweise ist es so, dass jeder seine Parzelle bekommt. Er ist für diese zuständig und kann dann mit dieser Parzelle machen, was er möchte. Doch es gibt grundlegende Kriterien, die meiner Meinung nach die Basis-Kriterien sind und auch bei den Grün­- Flächen der Stadt eingehalten werden sollten: Keine Pestizide, kein Kunstdünger und kein Torf. Die Grünfläche sollte biologisch bleiben. Im Siedlungsraum sollte kein Gift gespritzt werden, meistens ist es auch nicht notwendig Torf einzusetzen. Denn um Torf zu gewinnen, werden Moore zerstört. Es wäre daher widersprüchlich, in der Stadt Artenvielfalt zu fördern und wiederum anderen wertvollen Lebensraum zu zerstören. Kunstdünger ist sehr energieintensiv in der Herstellung und sollte daher auch vermieden werden.

In unserem Gedankenexperiment sollen alle Wiener:innen kostenlos ein Nutzungsrecht von 20 Quadratmeter der öffentlichen Grünflächen erhalten und selbst entscheiden dürfen, wie diese aussehen und bespielt werden sollen. Wo sehen Sie die Stärken und Schwächen in dieser Idee?

Die Idee finde ich sehr spannend. Die Frage ist, findet man genug Personen, die engagiert genug sind, sich um diese Fläche zu kümmern. Es gibt derzeit in Wien auch Patenschaften für Grünflächen, die funktionieren. Positiv ist, dass die Verbindung zu den Grünflächen gestärkt wird. Vor allem, wenn Arbeit drin steckt, weiß man das mehr zu schätzen und stärkt das eigene Naturbewusstsein. Die drei Regeln gefallen mir sehr gut. Ein weiteres Kriterium wäre auf jeden Fall auch, wie bei der Pionier Oase, das Verbannen von Pestiziden. Gerade in der Stadt würden diese Pestizide auch ins Nachbarhaus verwehen. 20 Quadratmeter sind relativ viel, was auch viel Arbeit bedeutet. Bei unserem Projekt „Nationalpark Garten“ schlagen wir immer einen Quadratmeter Blumenwiese vor. Wenn das bei vielen 20-Quadratmeter-Parzellen gemacht würde, hätte man auf einen Schlag viele Millionen Quadratmeter, die der Natur zurückgegeben werden. Daher würde ich vorschlagen, dass ein Quadratmeter auf den 20 Quadratmeter verpflichtend Wildnis werden sollten. Da ist ein praktischer Aspekt, der mir einfällt: Im Sommer wären die 20 Quadratmeter sehr von Austrocknung gefährdet, man müsste sich überlegen, wie man diese Fläche gießt damit sie nicht verdorrt, sonst könnte man nicht mehr in den Urlaub fahren. Die Idee ist auch ein moderner Ansatz der Kleingartensiedlungen, die leider immer mehr zugebaut werden. Die Menschen stellen sich zweistöckige Betonhäuser hin und wohnen ganzjährig dort. Dabei ist die Kleingartensiedlung aus dem Aspekt der Ernährungssicherheit – jede:r Wiener:in kann sich dort Obst und Gemüse anbauen – entstanden und hätten diese Flächen dafür offen halten sollen. Dieser Gedanke kann auch bei Eurer Idee mit einfließen – der offene Boden könnte in Krisenzeiten zum Obst und Gemüseanbau genutzt werden. Ein weiterer positiver Aspekt: wenn jede:r Wiener:in diese 20 Quadratmeter bekommt, dann verhindert das natürlich eine zukünftige Versiegelung. Und noch eine abschließende Idee: Könn­te neben dem Quadratmeter Wild­blumenwiese auch noch je ein Baum gepflanzt werden, dann hätte man sowohl für Klima als auch Artenvielfalt sehr viel getan.