1. Was gehört mehr gemacht für die Fußgänger/innen um sie zu motivieren mehr zu Fuß zu gehen?
Die Mobilitätsagentur ist eine Kommunikationsagentur für die aktive Mobilität. Von Anfang an versuchen wir, auch quantitativ zu messen, was diese Kommunikationsleistung für einen Erfolg hat. Wir geben alle zwei Jahre den Wiener Mobilitätsreport heraus, vormals war das ein Radreport und ein “Wien zu Fuß” Report, mittlerweile heißt es Mobilitätsreport. Wir wollen das Image des Zufußgehens und des Radfahrens in der Wiener Bevölkerung verbessern. Es ist sichtbar, dass es über die Jahre gestiegen ist und auf einem sehr hohen Niveau ist, also beim zu Fuß gehen haben wir eine Zustimmung von 90 %. Das heißt: Fast 90% der Wienerinnen und Wiener sagen “ich gehe in Wien gerne zu Fuß” - einen Weg der mindestens 10 Minuten dauert. Das ist schon ein recht hoher Wert, und wir versuchen das auch zu halten. Beim Radfahren haben wir jetzt im November 2020 Steigerungen um 20% . Und das ist auch für die Jahreszeit recht ungewöhnlich. Das liegt an Corona, weil auch mehr Leute die U-Bahn meiden. Man muss auch bedenken, es gibt auch weniger Möglichkeiten Sport zu machen. Alle Indoor-Sportarten sind momentan nicht möglich, das heißt Radfahren ist eine Bewegungsmöglichkeit. Beim zu Fuß gehen können wir das so noch nicht sagen, weil die Zählstellen das nicht abbilden. Und man muss bedenken, dass auch der ganze Tourismus weggebrochen ist. Zwischen 26 und 28 % bewegt sich die Verkehrsmittelwahl der Wienerinnen und Wiener was das zu Fuß gehen betrifft.
2. Wie schafft man attraktive Fußwege in Wien, die Wiener/innen dazu motiviert mehr zu Fuß zu gehen?
Genau das ist Gegenstand unserer Arbeit. Wir versuchen Politik und Verwaltung zu vernetzen und auch zu unterstützen, um bessere Strukturen zu schaffen zu Fuß zu gehen. Das urbane Fuß gehen ist unser Thema, also wir sind kein Wanderverein, es geht nicht um Sport, es geht da nicht um Freizeitverhalten, sondern es geht da um zu Fuß gehen als Alltagsmobilität.
3. Haben Sie schon bestimmte Vorstellungen und Ziele für eine Stadtplanung gesetzt?
Wir haben seit dem Jahr 2015 in unserem Portfolio auch Stadtpläne. Es gibt eine Radkarte von Wien, und es gibt eine Wiener Fußgängerkarte. die basiert auf Fußwegenetz der MA 18. Es sind verschiedene Wegenetze miteinander verschnitten worden. Die Karte hebt dann auch die Stadtwanderwege hervor, die Einkaufsstraßen, Flaniermeilennetz und sie zeigt auch Points of Interest, die es in anderen Karten vielleicht nicht zu finden gibt (wie Märkte, öffentliche WC-Anlagen, öffentliche Durchgänge, usw.)
4. Wie sieht die vorgeschriebene Breite eines Fußweges aus? Und haltet man sich auch konsequent daran? Wieso wird diese Breite empfohlen?
Die Stadt Wien hat sich zu einer Mindestgehsteigbreite bekannt, die ist 2m breit. Die kann aber auch punktuell noch eingeschnürt, eingeschränkt sein, bei jedem Verkehrszeichen, das am Gehsteig steht, ist diese Breite unterschritten. Es gibt dann verschiedene Umstände, wo diese Mindestbreite breiter wird, beispielsweise wo ich Schrägparker habe, also auch wo die Autos mit ihrer Schnauze über den Gehsteig ragen, dann muss es 2,5m sein. Oder wenn keine Parkspur vorhanden ist, und es sich um eine Tempo-50-Straße handelt, dann müssen die Gehsteige auch etwas breiter sein. Aber wie gesagt, diese bauliche Breite sagt wenig aus über die tatsächliche nutzbare Breite, die kann durch vielerlei Dinge eingeschränkt sein. Es gibt Statistiken dazu über das gesamte Wiener Straßennetz. Da gibt es auch sehr starke Unterschiede zwischen den Bezirken. Beispielsweise in Liesing. Liesing hat einen sehr hohen Anteil an Gehsteigen, die diese Mindestbreite unterschreiten. Auch andere Bezirke, Hietzing zum Beispiel.
5. Was ist die optimale Breite eines Fußweges, Ihrer Meinung nach?
Der Gehsteig sollte so breit sein, dass zwei Personen im Gehverkehr, die einen Kinderwagen schieben oder Taschen tragen, gut aneinander vorbeikommen. Und was die optimale Breite ist, hängt auch von der Frequenz ab. Man muss auch bedenken, gibt es in der Nähe einen Verkehrsknotenpunkt oder eine Schule? Treffen sich hier Leute? Ist es ein Raum wo Leute verweilen? Je nachdem, muss das Ganze breiter ausgestaltet sein.
6. Wie sieht es mit der Sicherheit aus ? Stellen E-Roller eine große Gefahr für Fußgänger/innen dar?
Unabhängig von der Sicherheit kann man sagen, dass so gut wie jede neue Mobilitätsform sich zuerst am Gehsteig manifestiert. Wenn E-Roller auf Gehsteigen abgestellt werden, sind sie ein Thema hinsichtlich Barrierefreiheit und auch Sicherheit. Also man kann sagen, dass das stationslose Sharing den Fußverkehr generell belastet. Allein was die Aufstellorte betrifft, solange es in Wien keine Regelung gibt und auch kein Management. Jede Regelung, jede Verordnung bedarf auch eines Managements. Es müssen auch Ressourcen in der Stadtverwaltung verfügbar sein, um so etwas zu managen, zu kontrollieren, auch zu sanktionieren, wenn das notwendig ist. Sonst geht das zu Lasten der Flächen des Fußverkehrs. Was die Sicherheit betrifft, gab es große Bedenken, auch seitens des Kuratoriums für Verkehrssicherheit, das diese neue Fahrzeugkategorie, die man eigentlich auch positiv gesehn hat im Sinne einer Bereicherung des Mobilitäts.Mixes. Es gab anfangs Bestrebungen, das überhaupt nur auf Rad- und Fußwegen zuzulassen. Und dank eines vehementen Widerstands der Stadt Wien und auch anderer Städte in Österreich, ist dann dargestellt worden, dass E- Scooter nicht auf Gehsteigen fahren dürfen.Wenn so einer nicht vorhanden ist, dann auf der Fahrbahn. Das wird von Verkehrssicherheitsexperten nach wie vor kritisch gesehen, weil ein Scooter im Unterschied zu einem Fahrrad einen längeren Bremsweg hat. Er kann nicht so schnell bremsen, sonst fällt er nach vorne um. Auch Handzeichen geben ist nicht so einfach. Und dann gibt es noch andere Aspekte, wie Beleuchtung und Sichtbarkeit. Was man sagen muss ist, dass Unfälle auf Gehsteigen nicht so lückenlos erfasst werden, wie das bei Unfällen im Zusammenhang mit Autos beispielsweise der Fall ist. Man kann aber sagen, dass immer noch die größte Gefahr für Leben oder die Gefahr sich schwer zu verletzten, von größeren Fahrzeugen ausgehen. Hier sind Fußgänger vor allem von LKWs, Straßenbahnen und auch Autos gefährdet. Das sind die Zusammenstöße, wo es zu schweren und auch tödlichen Unfällen kommt. Nichtsdestotrotz ist durch Gefährte am Gehsteig natürlich der Komfort eingeschränkt und in weiterer Folge auch die Sicherheit. In diesem Zusammenhang kann man aber trotzdem sagen, es ist ein Komfortverlust für den Fußverkehr.
7. Tauchen Probleme auf, wenn Straßen und Gehwege sich kreuzen? (oder plant man Fußgängerzonen so, dass man möglichst oft keine Ampeln überqueren muss?)
Es gibt ziemlich klare Richtlinien, ab wann eine Ampel errichtet wird und ein Schutzweg. Es führt nicht immer zu mehr Zufriedenheit. Es führt auch nicht immer unbedingt zu mehr Sicherheit. Vor allem, was Abbiegevorgänge betrifft und die Begegnung mit LKWs. Da hat es auch in den letzten Jahren große Diskussionen gegeben und die Forderung nach verpflichtendem Abbiegeassistenten in LKWs, weil es da doch immer wieder zu sehr schweren Unfällen kommt. Wir fragen regelmäßig, was die Wiener/innen beim zu Fuß gehen stört, oder wo sie Verbesserungsmöglichkeiten finden. Die Leute wollen keine gemischten Geh- und Radwege, sie wollen keine E-Scooter und auch keine Fahrräder auf ihren Wegen haben. Sie wollen die Flächen nicht teilen mit Fahrrädern und Scootern. Sie wollen längere Grünphasen bei der Ampel, also der Umstand nach der Grünphase dass die sogenannte Räumzeit ist, die auch noch den Fußgängern gehört, die führt nicht zu höherer Zufriedenheit oder zu einem Entspannten queren weil die Menschen doch immer das Gefühl haben, wenn es grün blinkt, dass Sie dann zum Laufen anfangen müssen. Gleichzeitig ist es so, dass abbiegende Autofahrer das oft nicht respektieren und dann durch Hupen, Gas geben oder andere Handlungen auch noch zusätzlichen Stress erzeugen. Also, wenn die Grünphase zu kurz ist oder wenn es auch bei normaler Gehgeschwindigkeit nicht möglich ist, innerhalb einer Grün-Phase die Straße zu queren, dann kommt es zu einer großen Unzufriedenheit, und die Menschen fühlen sich auch ungerecht behandelt. Dieser Wunsch, auf den Wegen wirklich unbehelligt zu sein, von anderen Fahrzeugen, der Wunsch, Ampelkreuzungen in Ruhe queren zu können, sich nicht hetzen zu müssen und auch nicht allzu lange warten zu müssen. Und dann kommen Wünsche nach Sitzgelegenheiten und nach Beschattung. Die Beschattung ist etwas, was uns zunehmend beschäftigen wird in den nächsten Jahren, weil es im Sommer in der Stadt immer heißer werden wird.
8. Wie ist es bei Ihnen, haben Sie eine Lieblingsroute?
Was ich in Wien sehr schön finde ist, das man sehr oft am Wasser unterwegs ist. Es gibt auch sehr viele Routen, Donaukanal, Alte Donau, Neue Donau oder auch wenn man in Nord-Süd-Richtung sich bewegt, finde ich es schön, dass man sehr oft das Wasser quert. Ich selbst wohne in Floridsdorf. Mein Arbeitsplatz ist im 2. Bezirk, das heißt ich quere die Alte Donau, die neue Donau, die große Donau. Und wenn ich in die Innenstadt fahre noch den Donaukanal, und das ist etwas das ich sehr schätze.
9. Wie oft sind Sie täglich zu Fuß unterwegs ? Und eher auf dem Weg zur Arbeit oder zum Spazierengehen?
Nein, ich schaue schon, dass ich auch Fußwege einbaue. Jetzt seit der Corona-Zeit ist es so, dass ich eher versuche, Öffis zu vermeiden. Das heißt, ich fahre jetzt mehr mit dem Rad. Früher habe ich das so gemacht, dass ich eher Teilstrecken zu Fuß gemacht habe, 1-2 Stationen zu Fuß; oder wenn ich Termine in der Innenstadt habe, dann gehe ich oft den Rückweg , das ist dann auch gleich so zum Kopf auslüften. Es ist aber leider gerade so - und vor allem im Winter - dass man wenige Außentermine hat, und dass die Arbeit doch leider sehr viel im Sitzen stattfindet. Das ist gerade nicht so optimal, das würde ich gerne wieder ändern. Mein persönlicher Ausgleich ist, dass ich am Wochenende dann in den Wiener Hausbergen wandern gehe, und dadurch habe ich dann über die Woche doch eine sehr gute Schrittanzahl. Am Wochenende komme ich auf ca. 20-30.000 Schritte. aber untere der Woche deutlich unter 10.000 Schritte.
10. Gibt es bestimmte Wege für Personen mit Rollstuhl oder einem Blindstock beispielsweise? Verwenden alle den gleichen Weg? Wie sieht die Situation beim Überqueren von Straßen aus? Wird darauf Rücksicht genommen?
Was die Berollbarkeit betrifft, es gibt an so gut wie allen Kreuzungen Gehsteigabsenkungen. Wobei es hier ein großes Dilemma gibt: Sie brauchen für eine gute Berollbarkeit eigentlich eine sogenannte Null-Absenkung, also dass sie auf 0 cm Niveauunterschied kommen. Blinde Menschen aber brauchen eine Gehsteigkante, die sie ertasten können mit dem Langstock. Jetzt hat man sich vor einigen Jahren auf 3 cm geeinigt und ist draufgekommen, dass 3 cm eigentlich immer noch zu viel sind; wenn ein sehr alter, schwacher Mensch mit einem Rollator kommt, dann bleibt er an dieser Kante hängen, und es ist schwierig die zu überwinden.
1. Wie hat sich die Mobilität Ihrer Meinung nach in den letzten Jahren entwickelt? Und wie wird sie sich weiter entwickeln?
Was die Wiener Mobilität betrifft, so muss man einige Dinge berücksichtigen. Wien hat bis in den 80er Jahren hinein eine sehr starke Hinwendung zum motorisierten Individualverkehr gehabt. Das hat dazu geführt, dass innerhalb der Stadt defacto in den Spitzenzeiten gar nichts mehr gegangen ist. Also die Stadt war völlig verstaut. Wien führte eine Bevölkerungsbefragung durch, bei der herauskam, dass 79% der Wiener und Wienerinnen der Meinung sind, dass der Öffentlicher Verkehr ausgebaut werden soll. Wien hat es getan, der Öffentliche Verkehr wurde verbessert ohne jeweils die Wiener und Wienerinnen nochmals zu fragen. Es ist die U-Bahn ausgebaut worden. Es sind keine Straßenbahnlinien mehr stillgelegt worden, sondern Netz ist verbessert und ausgebaut worden. Es sind die Buslinien weiter an die Peripherie ausgedehnt worden. Und das hat dazu geführt, dass die Wiener und Wienerinnen das deutlich verbesserte Angebot an Öffentlichem Verkehr in Wien, angenommen haben. Auch der Nachtverkehr wurde für die ganze Woche, also 7 mal 24 Stunden eingeführt. Eigene Busspuren und Gleiskörper für die Straßenbahnen wurden geschaffen. Und letztlich konnten wir so um 2005 herum feststellen, dass sich nicht nur der Modal-Split hin zu den Umweltverbundverkehren orientiert, sondern, dass auch der Motorisierungsgrad reduziert werden konnte.
2. Welche Vorteile hat der Ausbau der Öffis bewirkt?
Der Motorisierungsgrad konnte ab 2005 kontinuierlich gesenkt werden. Lag er noch zur Jahrtausendwende bei ungefähr 420 PKW pro 1000 Wiener*innen, so ist er mittler Weile auf grob 380 herunten. Also ein Verlangsamen bzw. eine Trendumkehr, weg vom motorisierten Individualverkehr hin eben zu anderen Verkehrsarten.Außerdem konnte die Entwicklung des Modal-Split gedreht werden. Bis Ende der 70er Jahre hat sich der Wert von rund 39 - 40% motorisierten Individualverkehr zu mittlerweile 39 bis 40 %öffentlicher Verkehr geändert. Gleichzeitig sank der MIV auf deutlich unter 30%. Also diese Wende ist eigentlich die entscheidende: durch Angebotsverbesserung, zuletzt auch noch durch die Attraktivierung des Tarifs, ist es gelungen, die Entwicklung ins Positive zu drehen.
3. Gibt es einen gravierenden Unterschied zu anderen Bundesländern in Österreich?
Im Unterschied dazu, wenn ich es richtig im Kopf habe, hat das Burgenland zum Beispiel den höchsten Motorisierungsgrad. Dort haben mehr als die Hälfte der Bewohner ein eigenes Auto.
4. Welche Vorteile haben Jugendliche? Wie hat sich die jetzige Generation im Gegensatz zur alten Generation entwickelt hinsichtlich zur Mobilitätsnutzung?
Das Jugend Ticket kostet 60 Euro im Jahr und dafür steht einem der gesamte Öffentliche Verkehr in der Ostregion zur Verfügung.Jüngere Menschen lernen sehr schnell, dass Sie auch mit dem Öffentlichen Verkehr preisgünstig überall hinkommen können. Und nochmal ein plakatives Beispiel, wie ich maturiert habe - immerhin vor 50 Jahren war mir die Matura weniger wichtig als der Führerschein. Meine Töchtern, die in den 80er Jahren geboren wurden, haben den Führerschein gemacht, weil man einen Führerschein halt auch hat. Mein Stiefsohn, der zehn Jahre jünger ist, hat bis jetzt noch nicht den Führerschein gemacht und sagt: ,, Ich brauche ihn nicht. Ich komme in Wien auch so zurecht.”
5. Wie sehen Sie die Radinfrastruktur und deren Entwicklung in Wien?
Der Radverkehr konnte stark ausgebaut werden und das Radnetz wurde auch sehr verbessert. Ich hatte als Stadtrat relativ viel ausbauen können. Es haben die beiden Stadträtinnen, die das Planungsressort nachher verwalteten, weniger stark ausgebaut. Trotzdem ist es auch weiter gegangen. Auch das “zu Fuß gehen” hat wieder eine Lobby bekommen. Ich glaube, dass die Wende, die Mobilitätswende in Wien schon längst begonnen hat und dass sie nun konsequent fortgeführt gehört.
Inwiefern?
Ich glaube, dass ein bisschen zu wenig Mut bei den politisch Verantwortlichen in den Bezirken besteht, ihren Bewohnern klar zu machen, dass man das Auto nicht überall stehen lassen kann. Ich hab immer, solange ich Stadtrat war, immer das Beispiel mit dem Kinderwagen gebracht: Was würden Sie sagen, wenn jemand den Kinderwagen auf der Straße stehen lässt? Das wird doch niemand machen. Aber mit dem Auto tun Sie es ! Warum tun Sie es mit dem Auto ? Weil sie glauben, dass es kostenlos ist ? Nur, die Errichtung und Erhaltung der Parkspuren ist teuer, also muss dafür bezahlt werden, genauso wie für einen Garagenplatz. Die Bepreisung des Parkplatzes im Öffentlichen Raum ist der Punkt. Sonst kommen wir mit der gerechteren Verteilung des öffentlichen Raums nicht weiter. Und das muss schneller gehen als bisher.
6. Meinen Sie also, dass ganz Wien Parkgebühren verlangen soll?
Also ich habe in einem Artikel in „Die Presse“ dargelegt, wie die Parkraumbewirtschaftung sinnvoll gestaltet werden könnte. Die Parkbewirtschaftung, wurde vor vielen Jahren für den ersten Bezirk eingeführt. Sie war dafür maßgeschneidert. Bis zu 23% Individualverkehr konnte im ersten Bezirk reduziert werden ! Das „Parkpickerl“ ist dann ausgeweitet worden bis zum Gürtel. 1998 war dieser Prozess abgeschlossen. Das hat auch noch sehr positive Effekte gehabt. Aber sobald auch die Flächenbezirke einbezogen wurden, sobald die flächenmäßig großen Bezirke in das System integriert wurden, Mein Vorschlag ist daher, dass man sich nicht mehr an den Bezirken orientiert sondern mit Hilfe von GPS oder Galileo die Bewirtschaftungszonen am Wohnort des jeweiligen Autobesitzers orientiert. Im Umkreis von einem oder zwei Kilometer von dem Wohnort darf man mit dem Parkpickerl gegen eine Pauschale parken. Aber fährt man darüber hinaus, dann zahlt man genauso wie jeder andere. Man kann zusätzlich auch einen Bonus für die Wiener einführen, dass sie z.B. für die ersten zwei Stunden weniger Parkgebühr zahlen müssen und erst danach die volle Gebühr. Wichtig ist, dass die Pendler in die Pflicht genommen werden, damit sie verstärkt mit dem Öffentlichen Verkehr nach Wien fahren.
7. Welche Lösungsmöglichkeiten/Zukunftspläne gibt es für Pendler/innen? (innerhalb und außerhalb von Wien)
Also ich glaube innerhalb von Wien ist es ziemlich einfach. Schon jetzt besitzen mehr Wienerinnen und Wiener das Jahresticket der Wiener Linien als es Wiener Autobesitzer gibt. Es gilt daher auch noch die wenigen Strecken wo die Qualität der Öffentlichen Verkehrsmittel noch nicht entspricht, nachzurüsten. Es ist auch sinnvoll, dass die Wiener Linien zum Beispiel, das Citybike Netz übernommen haben. Denn damit kann man die letzte Meile sozusagen die „letzten 500m“ zum Ziel der Reise bedienen. Die Vision einer Jahreskarte, die ÖV, Citybike, Taxi, Anrufsammeltaxi, Scooter, etc. beinhaltet, muss rasch Realität werden. Für die Pendler ist des schwieriger: die Zersiedelung in Niederösterreich und im Burgenland macht es dem ÖV schwer. Die Siedlungsdichte ist oft zu niedrig. Zudem sind Menschen hinausgezogen, ihr Arbeitsplatz aber ist in Wien, der ÖV funktioniert nur zu Schulzeiten. Die Folge ist, alle nutzen das Auto. Außerdem ist das Angebot des ÖV in Niederösterreich und im Burgenland zu schlecht, als das Pendler wirklich sich darauf verlassen können. Der Ausbau des Busnetzes ist etwas leichter als auf der Schiene, beides ist im Betrieb teuer und das Schienennetz auch in der Errichtung. Es ist aber unvermeidlich, dass auch für Pendler dieselben Qualitäten im ÖV angeboten werden, wie das Städte schon gewohnt sind.
8. Mittlerweile ist in den Öffentlichen Verkehrsmittel viel los, aufgrund der Pandemie gibt es viele Menschen, die das Nutzen der Öffentlichen Verkehrsmittel nun reduzieren bzw. abweichen und das Auto mehr verwenden. Auch zu bestimmten Zeitintervallen ist die U- Bahn sehr belastet. Welche Lösungsvorschläge haben Sie dazu bzw. was ist Ihre eigene Meinung zu dieser Thematik?
Ich kann nur empfehlen, die Öffentlichen Verkehrsmittel trotz Pandemie zu benützen, mit Maske und – sofern man es sich einteilen kann – nicht zu Stoßzeiten. Auch die Benützung der schwächer ausgelasteten Wagons bietet sich an. Das kann und sollte man altersgruppen- und berufsspezifisch individuell steuern. Außerdem haben Home Office und Telekonferenzen zu einer Entspannung auch im Öffentlichen Verkehr beigetragen. Die Mobilität hat sich zu einem Gutteil ins Netz verlagert. Glücklicherweise konnte auch eine Verlagerung zum Radverkehr festgestellt werden. Es fällt aber auf, dass viele Menschen der Meinung sind, dass das Auto besser vor Corona schützt und mit dem MIV unterwegs sind. Diese Menschen wieder zum ÖV zurückzubringen, wird ein großes Thema sein, wenn die Pandemie zu Ende gegangen sein wird. Wie bringt man die Menschen wieder zurück zum Öffentlichen Verkehr ? Denn die Bequemlichkeit des Autos werden viele wieder nicht mehr missen wollen.
9. Was würden Sie eher behaupten, dass es positive oder negative Auswirkungen hat, wenn die Innenstadt autofrei gestaltet wäre?
Es ist im 1. Bezirk mit dem Bau der Wiener U Bahn, gelungen, Fußgängerzonen einzurichten. Sie sind sozusagen die „Autobahnen der Fußgänger“. Und da muss man ganz genau unterscheiden, wo macht es Sinn weitere Fußgängerzonen zu machen, wo macht es Sinn Begegnungszonen zu schaffen, und wo macht es Sinn z.B. eine Wohnstraße einzurichten. Also das Problem das man aus Italienischen Städten kennt, dass sehr unübersichtliche, von Ausnahmen gespickte Verkehrslösungen für Innenstädte gemacht werden, sollte man für Wien vermeiden. Das verwirrt nur. Ich glaube es ist einfacher, wenn jeweils maßgeschneiderte Lösung umgesetzt werden. Das gesamte Spektrum der STVO zur Verkehrsberuhigung sollte genutzt werden, Fußgängerzonen, Begegnungszonen, Wohnstraßen oder Fahrverbotszonen und v.a. die Umgestaltung des öffentlichen Raumes sind wichtiger, als ein plakatives „autofrei“. Der öffentliche Raum muss anderen Nutzungen zurückgegeben werden, weniger Verparken und Fahrgassen, mehr Grün, mehr Begegnungsräume für Menschen und freier Durchgang. Zuschauen, wenn ich weis es gibt sehr gute Beispiele wie die Herrengasse. Sie wurde auf Initiative der Geschäftswelt umgestaltet. Öffentliches Gut heißt schon so weil es öffentlich sein muss und das darf nicht privatisiert werden. Weder durch parkende Autos noch durch Geschäftsleute, die an der Straßenumgestaltung mitgeholfen haben (finanziell). Also das ist aus meiner Sicht ein wesentlicher Punkt. Wichtig ist auch, dass ganz genau darauf geschaut wird, wofür das Mehr an Freifläche genutzt wird. Ist das der Schanigarten, die Warenausräumung vor den Geschäften oder sind das die Fußgänger, die Kinder, die dort spielen können oder die Begrünung ? Fußgänger, spielende Kinder und das Grün müssen Vorrang haben. Bei der Umgestaltung von Gehsteigen, sollte den Passanten ein zumindest zwei Meter breiter Streifen zur Verfügung stehen, auf jeder Straßenseite. Die Waggerl der Briefträger und Kinderwägen sind rund 1,5 m breit ! Zusammenfassend, ich halte nichts davon, nur die Überschrift „autofreie Innenstadt“ zu deklamieren, es geht um ein gestaltetes Gesamtkonzept. Auch außerhalb der Innenstadt gibt es viele Bereiche in Wien, die der Umgestaltung harren. Es gibt Siedlungsgebiete mit ganz schmalen Straßen, z.B. die Genossenschaftssiedlungen am Laaberg, die in den 20er, 30er Jahren entstanden sind oder die Freihofsiedlung. Dort sind Straßenbreiten von 6-8m. Diese Gebiete sollte man bei der Neuverteilung des öffentlichen Raumes nicht vergessen. Diese Siedlungsgebiete wären Prototypen für Wohnstraßenzonen. Auch die Rasterviertel aus der Gründerzeit darf man nicht vergessen. Man kann in den Rastervierteln die Erfahrungen Barcelonas nutzen. Im ersten Bezirk z.B. imTextiviertel, vom Ringturm bis zum Börseplatz, kann man ein ganzes Straßenkreuz dem MIV entziehen. Der Verkehr wird nicht zusammenbrechen, die Anrainer werden trotzdem hinkommen.
10. Gibt es Ihrer Meinung nach Vorbilder für die Stadt Wien? Wenn ja welche und warum?
Wir sind in der Größenstruktur Wiens mit 2 Mio. Einwohnern in einer Situation wo Erfahrungen aus Metropolstädte und Megalopolis nicht viel helfen. Spannend sind Lösungen von vergleichbar großen Städten, sowohl was die Einwohnerzahl als auch die Flächenausdehnung betrifft. Zum Beispiel hat Berlin nur eine halb so hohe Besiedlungsdichte wie Wien. Berlin hat größere Straßenquerschnitte als Wien, daher ist es für Berlin leichter, den Straßenverkehr, Radwege, Bäume und bequeme Fußgängerbereiche unterzubringen. Bei den Straßenquerschnitten in Wien muss selektiert werden. Der Verkehr muss entweder zeitlich gestaffelt werden oder es muss ein Miteinander verschiedener Verkehrsarten organisiert werden (Stichwort Begegnungszonen) oder gewisse Verkehrsarten müssen gänzlich herausgenommen werden. Genau darüber muss man in einer Stadt wie Wien nachdenken.
11. Gibt es zur Zeit Verkehrskonzepte die in Planung stehen? Da wäre zum einen die Veränderung und Adaptierung der Parkraumbewirtschaftung zu nennen. Als zweites ist die Qualitätsverbesserung des Radverkehrs anzuführen.Hier sind viele Dinge in die Jahre gekommen(z.B. stammt der Radweg bei Volkstheater und Museumsquartier aus dem Jahr 2001 und entspricht nicht mehr den aktuellen Anforderungen). Auch die Platzverteilung vor der Urania/Aspernbrücke stimmt nicht mehr mit dem Bedarf überein. Da müssen die Radfahrer auf einer kleinen Insel zwischen dem Autoverkehr warten. Das ist schlecht. Da ist viel Detailarbeit notwendig. Ein weiterer wichtiger Punkt sind die Stadterweiterungsgebiete mit starkem Bevölkerungswachstum. Dies sind die einzigen Gebiete, wo Bedarf nach Straßenerschließung auch für den MIV besteht. Das betrifft v.a. den 22. Bezirk, der extrem stark gewachsen ist. Die sogenannte Stadtstraße und der Umfahrungsring um Wien sind sehr wichtig, obwohl es Investitionen in den MIV sind. Aber: ohne diese Straßen dürfte die Seestadt Aspern nicht fertig gebaut werden, weil das bestehende Straßennetz des 22. Bezirks die zusätzliche Verkehrsleistung nicht aufnehmen kann. Es ist bitter, dass man noch neue Straßen braucht, aber dort, wo die Bevölkerung faktisch um 25 - 30% wächst, muss man damit rechnen, dass selbst bei einem Verschieben des Modal Splits zugunsten der Umweltverbundverkehre, das bestehende Netz nicht ausreicht.
12. Unternimmt die Stadt Wien genug für den Klimaschutz? Welche Lösungen gibt es bezüglich Mobilität?
Das Klimaschutzprogramm der Stadt Wien verpflichtet im Grunde den gesamten Magistrat dazu, sich daran zu halten. Ich glaube, dass bisher schon viel, sehr gut gelöst wurde, wie die Gebäudedämmung, Wärmeisolierung. Was noch offen ist, ist die Raumheizung. Das Verhältnis von 50:50 Fernwärme: Gas und ein bisschen Heizung , ist schlecht.. Die Umstellung Richtung Fernwärme ist auf diesem Sektor wichtig. Der zweite Bereich, die Industrie, ist auf gutem Weg. Das Sorgenkind ist das Verkehrsgeschehen. Wenn man da an Veränderung denkt, dann ist es ganz klar, man muss auf Effizienz und Rationalität schauen. Frei Fahrt und freie Verkehrsmittelwahl, wird es nicht mehr lange geben können. Selbstverständlich ist der ÖV weiterhin das Rückgrat des städtischen Verkehrsgeschehens. U Bahn, Straßenbahn und Schnellbahn sind Verkehrsmittel der E-Mobility. Der Busbetrieb bedarf noch des Wandels, wenn man von den City Bussen absieht, die schon mit Strom fahren. In den kommenden 10 Jahren wird es zur Umstellung der Busflotte, entweder zu Elektrizität oder zu Wasserstoffantrieb kommen müssen. Selbes betrifft aber auch die privaten Flotten. Zum Beispiel die Taxis oder die Kleintransporter, beide Flotten müssen zu umweltverträglicheren Antrieben kommen. Der nächste Schritt wären dann Private, die unbedingt ein Auto (z.B. Menschen mit körperlichen Behinderungen), für die geeignete E-Mobility Lösungen gefunden werden müssen. Grundsätzlich gehe ich aber davon aus, dass das Besitzen eines eigenen motorisierten Individualverkehrsmittels nicht mehr Standard sein wird, die Sharing-Economy wird auch das Teilen von Verkehrsmitteln zum Durchbruch bringen.
13. Wann ca. denken Sie dass “Frei Fahrt für freie Bürger” vorbei sein wird?
So rund um 2030 herum. Das Kllimaziel, das sich die Stadt und die europäische Union gesetzt hat, kann nur erreicht werden, wenn man ganz besonders hart durchgreift. Wenn dieses starke Regulieren sozial verträglich sein soll – wie es die Stadt will – dann kommt es wirklich darauf an, dass die Verkehrsbedürfnisse aller, zufrieden gestellt werden und nicht die Bedürfnisse jener, die es sich leisten können. Das ist ein starkes Plädoyer für den öffentlichen Verkehr, mit günstigen Tarifen und einer Jahreskarte als Mobilitätskarte, die die Benützung von Taxis und Sharing Verkehrsmitteln beinhaltet.