Katharina, wie viele Neophyten gibt es in Wien und welche kommen am häufigsten vor?
Die Zahl ist immer eine Momentaufnahme, die erweitert oder verschränkt ist. Es hängt immer davon ab, welchen Zeitraum man sich ansieht. Jetzt im Moment haben wir einen Anstieg von Neophyten. Der Schmetterlingsstrauch ist einer der bekanntesten nichtheimischen Arten in Wien. Man findet ihn überall, sogar auf dem Dach des Stephansdoms.
Können Neophyten auch gefährlich sein?
Es gibt einige Neophyten, die sich so rapide verbreiten, dass sie dann durchaus zu einem Problem werden können. Dann spricht man von invasi ven Neophyten oder von ,,Invasive alien plant species‘‘. Invasive Neophyten können beispielsweise gesundheitliche Auswirkungen auf Allergiker haben. Diese Arten können sich aber auch negativ auf die Gebäudebegrünung auswirken. Ein Beispiel ist der Götterbaum, der wirklich überall auftaucht und problematisch für das Facility Management ist, sowie die Intention von Stadtbegrünungen oft limitiert. Der Prozentsatz an invasiven Neophyten, die sich verbreiten ist immer ein sehr sehr kleiner aber ein sehr wichtiger. Denn es gibt sehr viele Gesetzgebungen auf europäischer Ebene, die die Verbreitung von invasiven Pflanzen Arten verbietet. Die EU-Verordnung führt eine Unionsliste mit erstaunlich vielen Pflanzenarten, die eine Gefahr für urbane Lebensräume bilden. Der Götterbaum taucht ebenfalls auf dieser Liste auf. Also Pflanzen sind nicht nur grüne Sachen, die irgendwo was schön machen, sondern beschäftigen auch viele Abteilungen in der EU-Kommission.
Könnte man also sagen, dass die invasiven Arten die schlechten oder bösen Pflanzen sind?
Wir raten in der Invasionsbiologie davon ab von böse und schlecht zu reden. Generell ist diese Terminologie möglichst neutral zu halten. Es hängt immer davon ab, was man plant und beabsichtigt. Leider ist die Artenvielfalt in der urbanen Ökologie sehr vom Menschen dominiert. Während Pflanzen vor 100 Jahren noch durchaus wild vorkommen konnten, werden heute Flächen sehr von Menschen gesteuert und stellen den Pflanzen ungenügenden Lebensraum zur Verfügung. Das hat dann wiederum Auswirkungen auf die heimische Flora. Es setzen sich nur Pflanzen durch, die mit dem höheren Nährstoffeintrag gut zurecht kommen, weil der steigt. Prinzipiell kann man nicht von schlechten Pflanzen sondern von schlechten Menschen sprechen, da die falsch geplant und recherchiert haben.. Wenn ich bei einer Begrünung Pflanzen mit hohem Invasionspotential verwen de, kann man natürlich den Kollaps von Ökosystemen beobachten, die in sich viel Co2 speichert. Zum Beispiel wurde die Rubine in alten Begrü nungen oft verwendet. Wenn sie aber ins falsche Ökosystem kommt, kann sie nachhaltige Schäden anrichten. Man kann Pflanzen falsch pflegen und einsetzen. Einer der gefährlichsten Arten ist die Fallopia, auch bekannt als die asiatische Staudenknöteriche, dessen Wurzeln in kleinste Ritzen von Mauern und Asphalt eindringen und diese durch ihr Wachstum sprengen kann. Dadurch sind sind vor allem Bauwerke an Flussufern gefährdet.
Was wäre, wenn der Mensch sich nicht mehr einmischen oder zum Beispiel die Stadt verlassen würde, sodass die Natur wieder Zeit hätte sich zu erholen. Würde dann die Ursprungsflora wieder entstehen?
Ich spiele diese Science-Fiction Szenario mal mit. Man kann sich super am Beispiel von den urbanen Räumen Tschernobyls ansehen, was da innerhalb von wenigen Jahrzehnten an Natur zurückgekommen ist. Ähnliche Situationen kann man auch in Österreich wiederfinden. So ist Öster reich auch sehr schnell wieder zu Wald geworden. Wenn man von der potentiellen natürlichen Vegetation ausgeht, welches ein Konzept aus der Forstwirtschaft ist, umzusehen welche potentiellen Waldgesesellschaften wachsen würden, so wäre Wien entlang der der Donau natürlich ein Au wald und in höheren Lagen wahrscheinlich ein Buchen- und Hainbuchenwald mit riesigen Stämmen. Dennoch ist diese Analyse sehr hypothetisch. Diese „Was wäre wenn“-Frage ist nur schwer zu beantworten. Sicher ist der Mensch ein Störfaktor und produziert eine Landschaft, die nur schwer zu besiedeln ist. Lange hat man gesagt, dass gerade urbane Landschaften unnatürlich sind. Jedoch hat sich in den letzten Jahren in der urbanen Ökologie bewiesen, dass dies überhaupt nicht der Fall ist und Städte durchaus Hotspots für gewisses Artenreichtum sein können.
"Prinzipiell kann man nicht von schlechten Pflanzen, sondern von schlechtenMenschen sprechen..."
Welche Arten gibt es nicht in der Stadt im Vergleich zum Land?
Das sind zwei komplett verschiedene Ökosysteme. Das Land ist auch nicht gleich Land. Es wird unterschieden zwischen urbanem und semiurba nem Raum und der ruralen Landschaft. Auf europäischer Ebene werden Landnutzungen danach klassifiziert. In jedem dieser Ökosysteme gibt es Pflanzen, die charakteristisch sind und gewisse Funktionen in den verschiedenen Ökosystemen erfüllen. Natürlich herrscht in der Stadt ein ganz anderes Klima. Dazu gibt es auch viele Studien, die sich mit der Wirkung des Klimas in der Stadt und auch mit der Wirkung der Stadt auf die Umge bung und auf die Landschaft befassen. Es ist für diverse Pflanzen profitabel, die lieber im wärmeren Klima sind. Der Götterbaum ist hierfür wieder ein gutes Beispiel. Der kann sich sich jetzt so schnell in Städten ausbreiten, weil es ihm bis vor 10 Jahre noch zu kalt war . Des Weiteren gibt es diverse Sedumarten, die dickblättrig aussehen und bei Dachbegrünungen verwendet werden.
Wie wirkt sich das Artensterben aus?
Das Artensterben ist ein sehr großes und wichtiges Thema. Täglich verschwinden tausende Pflanzenarten vom Planeten. Das größte Problem ist, dass wir oft die Ökosytemfunktion der einzelnen Arten nicht identifizieren können, weil wir die Aufgabe dieser Pflanzenarten nicht kennen und nicht wissen, ob sie negative Auswirkungen auf uns haben könnte. Wir verlieren durch das Artensterben Informationen, die für uns wichtig wäre. Vor allem haben wir in der Stadt bereits durch laufende Bebauungen und dem Nährstoffeintrag viele Arten zum Aussterben gebracht. Der Mensch be schleunigt das Artensterben rasant und das schlimme daran ist, dass die Arten keine Ausweichmöglichkeit haben. Es fehlt an Trittsteinbiotopen. Da könnte die Stadt durchaus eine Funktion erfüllen, indem man gewisse Parkabschschnitte oder Gebäudebegrünungen als Trittsteine für diverse In dikatoren hat. Außerdem wäre es generell wünschenswert, mehr Forschung im Bereich der Biodiversität in der Stadt zu ermöglichen, da vieles noch unbekannt ist. Wir wissen beispielsweise sehr wenig über gewisse Artengruppen im Bereich der Pilze, Insekten, Bakterien und Mikroorganismen.
Nach unseren Recherchen hat ein Baum viel zu wenig Platz im Stadtraum. Wieviel Raum braucht eigentlich so ein Baum in der Stadt?
Das ist sehr artenspezifisch, nicht? Es hängt davon ab, wie alt und groß der Baum ist. Außerdem ist es davon abhängig, ob beim Einpflanzen das Ziel darin besteht, dass der Baum für die nächsten 100 Jahre steht. Ein Baum kann bis zu 400 Jahre alt werden und das ist oft in der Stadt nicht so geplant. Es gibt viele temporäre Bepflanzungen, die nach 10 Jahren wieder umgepflanzt werden, da der Platz anderweitig gebraucht wird. In der Stadt beobachten wir ständig diesen Wechsel, weil Bäume oft der Stadtplanung im Weg stehen oder vorher schon verenden.
Hat der Raum, der vom Baum gebraucht wird einen direkten Bezug dazu wie alt der Baum werden kann?
Das ist ein super spannendes Thema. Es gibt Bemühungen, dass man anhand der Pflanzenart herausfindet, was einen Baum letztendlich alt werden lässt und wie alt er werden kann. Es ist ingesamt artenabhängig. Beispielsweise braucht eine Platane einen anderen Raum als ein Ahorn. Ein Baum braucht zum Überleben ein gewisses Netzwerk an Pilzen. In der Stadt gibt es diese leider nicht in dem Ausmaß, wie in einer natürlichen Umgebung. Der Boden spielt eine sehr wichtige Rolle für die Fortpflanzung des Baums. Nur an der Wurzelspitze kann der Baum Nährstoffe aufneh men. Wenn man sich ausführlicher mit der Anatomie der Wurzeln und des Wurzelwachstums befasst, wird einem schnell bewusst, dass die Boden infrastruktur im Stadtraum den Bäumen nur ein schwieriges Leben bietet. Man muss aber auch sagen, dass Stadtbäume gezielt nach Sicherheit , Kontrolle und Pflege ausgesucht werden. Die Frage ,,Wieviel Raum braucht ein Baum?“ ist eher ,,Wieviel Zeit gibt man dem Baum?“.
Wie wirkt sich der Klimawandel auf die Flora aus?
Der Klimawandel bereitet den Städten im Alpenraum zunehmend Stress zu, weil zum Einen die Jahresmitteltemperaturen steigen und zum Anderen der Niederschlag abnimmt. Besonders in Wien sehen wir, dass sich das pannonische Klima durchsetzt. Im Projekt ,,Alptrees“ spielen wir diverse Klimaszenarien durch, um herauszufinden mit welchem Klima die Stadtbäume in Zukunft zu kämpfen haben werden. Ich bin froh, dass man da durch Modellierungen ein wenig weiterkommt und datenbasierte Empfehlungen weitergeben kann was vor allem Stadtbäume betrifft. Bei der wilden Flora ist dies eher schwierig. Da wäre ein Wunsch von mir, dass man in der Stadtplanung oder in der Gebäudebegrünung auch einen Raum für die Spontanvegetation schafft, die aufblühen und eine neue Generation entwickeln kann. Das wird leider immer weniger in Wien. Je bewusster man damit umgeht, desto besser. Man sieht bereits in gewissen Generationen den Trend, dass Unkraut auch als Begrünungsmethode verwendet wird.
Könnte man Pflanzen zur Klimamitigation verwenden?
Ich glaube wir stehen komplett vor anderen Herausforderungen. Wir liegen technisch leider noch sehr weit zurück. Wir wissen in der Forschung noch nicht mal, welche Pflanzen wir einsetzen könnten, damit das Klima geschützt ist. Im globalen Kontext wird es so warm, dass man sich mit diesem utopischem Problem nicht auseinandersetzen muss. Da kann man aber sicherlich viel machen. Prinzipiell sollte man mit den Aspekten der Biodiversität arbeiten, d.h. man sollte natürliche Vegetationen einsetzen, weil man dann nicht nur begrünt , sondern auch die Herausforderungen der Biodiversitätakrise gleichzeitig angeht. Die Biodiversitätskrise und das Klima gehen Hand in Hand. ich bin der Meinung, dass man der Krise mit neuen Begrünungsmethoden entgegenwirken sollte, um das Stadtklima positiv zu beeinflussen. Wir sind was die Stadtbäume betrifft noch relativ zurückhaltend. Man weiß erschreckend wenig über dieses Terrain. Ich hoffe, dass wir da so bald wie möglich weiterkommen, bevor es zu spät ist.