Architekt DI

Michael Anhammer

Vorlage: Franz&Sue/Paul Bauer

Michael Anhammer ist einer der fünf Gründungspartner des international tätigen Architekturbüros
Franz&Sue. Mittlerweile zählen sie über 95 Mitarbeiter mit Sitz im selbst entwickelten und weitläufig bekannten Stadtelefanten im Sonnwendviertel Wien und gehören zu den erfolgreichsten und innovativsten Architekturbüros Österreichs. Das Büro entwickelt und gestaltet nach den Maßstäben, dass Architektur und die Stadt selbst nur dann gut ist, wenn sie im “hin und her” funktioniert und etwas gemeinsam entstehen kann. Das bedeutet, dass sie Veränderung aushalten und Adaptionsfähigkeit zeigen muss, unabhängig davon, wie sie benutzt wird.

„Architektur ist etwas, was heute im Gemeinsamen passiert.“
hier geht´s zum Interview
Mag. phil. Dr. phil.

Cornelia Ehmayer-Rosinak





Cornelia Ehmayer-Rosinak gründete 2001 die Praxis der
Stadtpsychologie und forscht seitdem im Bereich der dialogorientierten Stadtentwicklung. Ihr Zugang ist es die Städte als Wesen zu betrachten und psychologische Konzepte auf diese zu übertragen. Dafür hat sie ihre eigene Methode der “Aktivierenden Stadtdiagnose (ASD)” entwickelt.
Damit bedient sie die Schnittstelle zwischen Planung und Stadtentwicklung und lenkt den Fokus auf das soziale Gefüge. Dieses kommt in den sehr technisch besetzten Stadtentwicklungen oft zu kurz , da Städte mit einemfunktionierenden Gemeinwesen für Veränderungen bessergerüstet sind als jene, wo dies nicht der Fall ist.
„Die Gestaltung kann nicht alles lösen. Dafürbraucht man soziale Interventionen.“
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Interview mit

Architekt DI
Michael Anhammer

Wie ist das Büro Franz&Sue in das Sonnwendviertel gekommen?

Das Sonnwendviertel ist in drei wesentlichen Bauabschnitten entstanden. Der erste Bauabschnitt ist die klassische Blockrandbebauung, typisch für die Entwicklung von Bauträger-Projekten. Interessant beim SWV II ist, dass das Planungsressort der Stadt Wien von den Grünen geführt wurde und so ein Planungsprozess im Dialogverfahren entstanden ist. Dadurch mussten sich die Magistratsabteilung, die ÖBB und die Planer an einen Tisch setzen, was zu einer Neuentwicklung des Sonnwendviertels geführt hat. Der Unterschied ist rein von der Größe her, der Körnung und auch der Struktur. Der Blockrand wurde aufgelöst und es ist eine eher „dörfliche” Mittelstraße entstanden, die es so im anderen Teil nicht gibt.Darüber hinaus gibt es drei grundlegende Sachen. Punkt 1: Autoverkehr raus. Kein Verkehr und keine Tiefgaragen in der Mitte, sondern nur Hochgaragen am Rand des Viertels. Der zweite Faktor: die ÖBB musste einige Grundstücke zum Fixpreis an diejenigen mit der besten Idee verkaufen. Dadurch sind dann viele Baugruppen eingezogen, aber auch wir haben uns mit einer Idee am kleinsten Grundstück beteiligt. Und die dritte Idee war, dass die Erdgeschosszone durch einen Nutzungsmix und einen gedeckelten Mietpreis städtisch besonders attraktiv wird. Das hat dafür gesorgt, dass spannende und ambitionierte Leute hergezogen sind und architektonisch anspruchsvolle Gebäude entstanden sind, und nicht nur reine Investoren-Überschaubarkeit.

Welche Faktoren bestimmen den „Wohlfühlfaktor“, außer einer belebten Erdgeschosszone?

Konsum/Einkaufen spielt eine große Rolle. Dafür braucht es aber ein Management, das entscheidet, wo die Supermärkte sind. Kleinteilige öffentliche Infrastruktur in den Sockelzonen, wie zum Beispiel Buchhandlungen, Ausgehmöglichkeiten oder Wochenmärkte sind wichtig. Investoren würden immer gerne „ohne“ Erdgeschoss planen, aber man braucht es, damit die Stadt funktioniert.

Hat die Gestaltung der Architektur damit zu tun, ob sich die Leute wohlfühlen?

Ja, aber nur zweitrangig. Wir müssen uns daran gewöhnen, dass die Stadt zwar auch mit guter Architektur zu tun hat, aber eben erwähnte Punkte wie Sockelzonen und Autofreiheit sicher ausschlaggebender sind. Also wenn man sich die Gestaltung hier anschaut, haben wir immer noch einen Anteil von 70% Vollwärmeschutzfassaden mit kleinem Fensteranteil, sehr günstig ausgeführt, ohne Ambitionen. Die spannenden Dinge finden aber dazwischen statt. Dadurch ist die Programmierung zuerst wichtiger als die Architektur. Für unseren Entwurf des „Stadtelefanten“, in dem unser Büro untergebracht ist, haben wir ein Material gesucht, das vielleicht mit einer Gründerzeit-Struktur in Verbindung gebracht werden könnte. Ziel war es, ein möglichst einfaches Gebäude zu entwickeln, weil wir gesagt haben, es muss nicht jedes Haus „schreien“.

Welche Rolle spielt die Identität von Gebäuden und Plätzen (in neu entwickelten Gebieten), da hier im Stadtelefanten als Identifikationshaus viele verschiedene Parteien zusammenkommen? Gibt es da noch andere Punkte?

Also es braucht Plätze, wo viel los ist. Wenn es beispielsweise Schatten gibt, tut sich immer mehr, als wenn es keinen Schatten gibt. Sehr banal, aber dieses Viertel hat einen tollen Park, der intensiv genutzt wird und der als aller erstes gebaut wurde. Das war eine wichtige Entscheidung. Dazu kam dann ein einfaches Café, das auch schon während der Bauzeit geöffnet hatte. Dadurch funktioniert der Park für sehr viele Altersgruppen nahezu den ganzen Tag über. Auch die freien großen Flächen, die sich jeder aneignen kann, helfen dabei. Das ist das eine. Der andere große Unterschied zu vielen Städten ist die tägliche Pflege durch das Stadtgartenamt. 

Wie wolltet ihr mit „eurem” Baugrundstück und der Umgebung umgehen?

Unser Beitrag zu diesem Stadtviertel war, dass wir sehr frühzeitig ein Lokal integriert haben. Wir haben gesagt, damit unser Haus funktioniert, brauchen wir ein Restaurant, und wir sind als Büro täglicher Gast. In reinen Wohnhäusern würde sowas viel langsamer ablaufen, da die Obergeschosse erstmal wenig mit der Sockelzone zu tun haben, während das für uns und das Viertel eine Win-Win-Situation war.

Können auch Probleme entstehen, wenn man öffentliche Räume “durchkommerzialisiert” bzw. ein Konsumzwang besteht?

Natürlich braucht es auch nicht-kommerzielle Einrichtungen wie Kindergärten, für die es wesentlich ist, im EG zu sein. Aber man braucht auch kommerziell funktionierende Ankerpunkte: einen Bio-Bauern, der sein Obst verkauft oder einen Buchladen etwa. Du brauchst Unternehmer, die mit Risiko und wenig Gewinn am Anfang ‚pionierhaft‘ in das neue Viertel kommen. Daneben können auch weniger kommerzielle Geschäfte Platz finden.

Gibt‘s dem Gegenüber auch Sachen, die nicht gut funktionieren oder – auf das gesamte Viertel bezogen – fehlen?

So gut der öffentliche Verkehr in Wien ist, wir sind hier im letzten Winkel... Die Hälfte der Leute hat mittlerweile ein Fahrrad oder einen Roller, denn selbst die Straßenbahnstation ist relativ weit entfernt. Andererseits ist die Situation auch der umgebenden Stadtstruktur geschuldet, die einfach kaum Querungen der Verkehrslinien zulässt. Wider den Erwartungen funktionieren die Verkehrsberuhigung und die Anlieferung von außen super! Von der Idee, das Auto vor der Haustür stehen zu haben, muss man sich verabschieden, und ich besitze selber ein Auto. Aber wenn ihr sagt, was schlecht funktioniert: die Anbindung ist erst einmal gewöhnungsbedürftig.

Neben der grünen Mitte gibt es kaum vereinzelt Grün. Wie verhält sich durch die ganze Versiegelung die Aufheizung im Sommer?


Es ist interessant, wie sehr dieses Thema in den letzten Jahren vermehrt diskutiert worden ist. Ich sehe es nicht so sehr negativ, vielleicht weil ich mich einfach daran gewöhnt habe, aber es stimmt, einige Plätze sind schon stark versiegelt und damit sehr heiß im Sommer.

Gibt es noch weitere Identifikationsmerkmale, die man schaffen muss, um das Viertel zu beleben? Wir haben ja bereits von der grünen Mitte und gewissen Attraktoren gesprochen, was gibt es noch?

Wichtig ist der besagte Nutzungsmix im Erdgeschoss: Dort ist ein Blumenladen, bei dieser Bäckerei gibt es einen Kaffee und hier gibt es eine Pizzeria und eine Post und so weiter. Wenn du jedes Mal 10 bis 15 Minuten laufen musst, wirst du ja wahnsinnig.
Für Familienfreundlichkeit brauchst du natürlich auch Kinderbetreuung und Schulen und am besten noch Autofreiheit, damit die Kinder das Viertel selbstständig entdecken können. Das ist der Unterschied zu Gründerzeitvierteln.

Was kann man von anderen Städten lernen?

Wenn man nach Kopenhagen oder Stockholm schaut, dann sieht man dort Quartierszentren. Früher gab es in Wien kirchliche oder politisch orientierte Organisationen für Jugendzentren oder Anknüpfungspunkte in der Stadt. In Kopenhagen zum Beispiel hast du Nachbarschaftszentren, in denen man zusammenkommen kann. In Wien gibt es heute kein gleichwertiges Pendant, das flächendeckend über das Viertel oder die Stadt gespannt ist.

Könnte man dem entgegenwirken, durch bspw. Bürgerbeteiligungen oder mehr Einbeziehung der Umgebung oder der Anwohner?

Schwierig. Bei einzelnen Häusern, die von Baugruppen geplant und viele Jahre bewohnt werden, macht das Sinn, aber es gibt auch Häuser/Situationen, in denen man nur für ein paar wenige Jahre wohnt. Nicht jedes Haus ist ein Initiativhaus.

Uns sind gewisse Parallelen zwischen dem Sonnwendviertel und dem Nordwestbahnhof aufgefallen... Braucht es gerade neben dem Augarten überhaupt eine große Freifläche oder sind verteilte Grünzonen nicht doch besser?

Also ich weiß nicht, ob das eine oder das andere besser ist... Ich meine, hier braucht es diese Großzügigkeit, da der ganze 10. Bezirk daneben, dieser große Gründerzeitkuchen, kaum Freiflächen hat und wirklich sehr dicht ist. Ob das Nordwestbahnhofs-Viertel das jetzt in gleicher Art und Weise braucht, sei dahingestellt. Hier zumindest wird der Park im Sommer extrem gut angenommen und funktioniert sehr gut. Am Ende kommt es stark auf die Ziel- bzw. Altersgruppe an, was wie genutzt oder angenommen wird. Zum Beispiel: Die Hochhäuser am Hauptbahnhof mögen städtebaulich interessant sein, aber für Familien sind sie absurd.

Was haltet ihr generell von der Planungsentwicklung des NWBH bzw. dem Bild, wie es mal werden soll?

Die Planungsgebiete wie das Sonnwendviertel, Nordbahnhof oder Nordwestbahnhof profitieren alle von der äußerst zentrumsnahen Lage. Obwohl sie durch die Vergangenheit nicht die besten Voraussetzungen aufweisen, haben sie sich in den letzten Jahren sehr gut entwickelt. Wenn du das gleiche im 22. Bezirk machst und 45 min in die Stadt brauchst, ist das schon etwas anderes. Vom Nordbahnhof bist du mit dem Rad in 10 Minuten am Donaukanal, wahrscheinlich braucht man sogar weniger!

Zukunftsprognose: Wohin werden sich Städte oder öffentliche Räume in Zukunft hinbewegen? Werden Flächenversiegelung oder Konsumzwang ein Problem? Welche Rolle übernimmt der Klimawandel?

Also es braucht Erdgeschosszonen, die eine gewisse Höhe haben und die flexibel nutzbar sind, und zusätzlich zu halbwegs attraktiven auf den Markt kommen können. Darüber hinaus haben wir wahrgenommen, dass der öffentliche Raum gerade in der Corona Zeit wesentlich an Bedeutung gewonnen hat. Um diesen aber möglichst flexibel über den Tag nutzen zu können, braucht es die richtige Infrastruktur wie WLAN, intelligente Möblierung und zum Beispiel Steckdosen (lacht). Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Millionenstadt Wien in 20 Jahren nicht mehr existiert, aber du wirst den öffentlichen Raum länger für alle Altersgruppen nutzbar machen müssen. Dafür braucht es eigentlich ein eigenes Management.

Es gibt abgesehen von Parks und Grünflächen eigentlich so gut wie keine (Stadt) Räume, an denen sich die Menschen aufhalten können, ohne etwas konsumieren zu müssen.

Ja, das stimmt, es gibt wenig Angebote, die abgesehen von Kunstkontext oder Theaterkontext frei von kommerziellen Interessen sind. Neben dem MQ fehlen einfach dezentrale, aneignungsfähige Räume/Orte.

Abschließend würden wir gerne wissen, ob es einen Ort gibt, der dich persönlich mit deinem Viertel verbindet?

In der Mitte vom Nordbahnhofviertel ist zum Beispiel der Rudolf-Bednar-Park. Dort findet man eine der wenigen städtischen Wasserflächen, welche eigentlich nur sehr ungern geplant werden, da der Aufwand zur Erhaltung doch sehr hoch ist. Aber alljährlich sieht man dort tatsächlich Frösche, die beginnen im Frühling zu balzen, machen sehr laute Geräusche und später sieht man irgendwann die Kaulquappen und im Herbst die kleinen Frösche. Es hat also mit Tieren in der Stadt zu tun, über die sich alle bei den ersten Geräuschen freuen. Dazu gibt es auch noch Hasen dort. Banale Erlebnisse von Natur also, die kriegst du in der Gründerzeit-Stadt so nicht!

Herr Anhammer, vielen Dank für Ihre Zeit und Einblicke!
Interview mit

Mag.phil.Dr.phil.
Cornelia Ehmayer-Rosinak

Was bedeutet für Sie Identität in der Stadtplanung?

Einerseits hat das etwas mit Geschichte und der eigenen Umgebung, in der man aufwächst, zu tun. Die Identität ist aber viel mehr als nur ein emotionaler Zugang, sondern auch etwas Selbstreflektiertes, vielmehr ein direkter Bezug zur Stadt selbst. Das passiert oftmals über Beteiligung oder Aneignung, sei es zur Wahl zu gehen oder die Aneignung von öffentlichem Raum durch etwa Urban-Gardening. Damit wird die Stadt zu einem Teil von mir selbst. 

Wie schafft man es ihrer Meinung nach, dass die Bewohner sich in ihrer Gegend heimisch fühlen und sich mit dem Ort identifizieren können?

Dazu gibt es sehr viele Theorien und Studien. Der Ort, mit dem meistens die stärkste Verbundenheit herrscht, ist die eigene Wohnung. Das hat vor allem mit der einfachen Aneignung des Raumes zu tun. Das geht aber auch über die eigenen Vier-Wände hinaus. Wenn man in einem Viertel wohnt, das man mag und wo man sich gerne aufhält, ist es viel identitätsstiftender als wenn man aus Not an einen Ort ziehen muss. Der Mensch muss sich wohl fühlen. Zudem führt eine gefällige Architektur zu einer stärker ausgeprägten Identität und damit zu einer höheren Bereitschaft bei Beteiligungsprojekten mitzugestalten. Umgekehrt ist es aber auch so, dass wenn man Menschen einlädt bzw. die Möglichkeit gibt, an ihrer Wohnumgebung mitzuwirken, dass das Identitätsgefühl gesteigert wird. Je mehr Sinne bedient werden im Leben, desto stärker wirkt es auf einen. Das Angebot, im öffentlichen Raum etwas beitragen zu können, wirkt identitätsstiftend. Wobei es meiner Meinung nach auch problembehaftet ist, wenn es im öffentlichen Raum abgegrenzte Bereiche für beispielsweise eben erwähntes Urban-Gardening gibt. 

Welche gestalterischen Qualitäten braucht der öffentliche Raum?

Beispiel Sitzmöbel: Aus psychologischer Sicht gibt es verschiedene Möglichkeiten Sitzgruppen kommunikativ aufzustellen. Die „prospect refuge“ Theorie besagt, dass man Schutz und Überblick braucht. Man möchte mit dem Rücken geschützt sitzen und das Geschehen auf der Straße beobachten können. Außerdem wäre eine gewisse Mobilität von Möbeln wünschenswert, damit man sich in Gruppen zusammensetzen kann. Durch solche gestalterischen und funktionellen Qualitäten findet mehr Kommunikation statt und es wird das soziale Miteinander gefördert. Studien zufolge lachen die Menschen dann sogar mehr (lacht).

Denken Sie, dass eine Privatisierung öffentlicher Flächen ein Problem darstellt?

Das Problem ist eher die Kommerzialisierung. Aus meiner Perspektive gibt es heutzutage mehr öffentliche Räume als früher, die jedoch zunehmend kommerzialisiert werden. Dadurch nimmt die Forderung nach konsumfreien Räumen immer stark zu.

Stellt die Versiegelung der städtischen Oberflächen ein weiteres soziales Problem dar? Kommen Menschen lieber in der Natur zusammen, oder kann ein asphaltierter Platz die gleichen Qualitäten bieten wie ein begrünter Park?

In der Umweltpsychologie gibt es ein ganz großes Themenfeld: Die „restorative environment“, also die erholsame Umgebung, wobei die Natur meistens im Vordergrund steht. Unter anderem wird Wasser in Kombination mit Grün ein hoher Erholungswert zugeschrieben. Der Donaukanal, der eine Stadtautobahn werden sollte, nimmt demnach eine wichtige Stellung ein, da er innerstädtisch eine abgesenkte und autofreie Zone in Verbindung mit Wasser und Grün darstellt.

Heutzutage unvorstellbar!

Definitiv! Man muss jetzt natürlich nicht immer in die Natur gehen. Erholung kann auch dann auftreten, wenn man sein alltägliches Umfeld wechselt, in ein Museum geht und die Kultur genießt. Generell lässt sich aber sagen, es gibt in den Menschen eine Sehnsucht nach Natur, aber keine nach Beton. Das andere ist, dass Menschen Plätze schätzen. Die italienische Piazza dient oft als hohes Vorbild, obwohl sie asphaltiert und versiegelt ist. Wenn man jedoch genau schaut, sitzen die Leute am Rande des Platzes im Café. Bäume, Schatten und Hitze sind gerade in der heutigen Zeit wichtige Punkte. 

Wie könnte man der Versiegelung und der Kommerzialisierung entgegenwirken? Bringen partizipative Planungsmodelle einen Vorteil?

Der öffentliche Raum ist ja bekanntlich durch den Flächenwidmungsplan und durch verschiedene Magistratsabteilungen vordefiniert bzw. überwacht. Beteiligungsformen helfen sehr, denn sie inkludieren auch diejenigen, die nicht wählen können. Die Beteiligung hilft, die Grenzen zu überwinden und allen eine Teilhabe zu ermöglichen. Mitsprache schafft auch Identität. Allerdings darf man auch nicht die demokratiepolitischen und gesetzlichen Verordnungen außer Acht lassen. Jemand muss das Projekt tragen. Und da ist dann wieder die Politik gefordert.

Wie kann man bei dem entstehenden Viertel im Nordwestbahnhof nachhelfen, damit dort ein belebter Ort entsteht? 

Das lässt sich über verschiedene Attraktoren gestalten. Man muss etwas schaffen, das den Ort attraktiv macht. Das kann eine orts-eigene (Sozial-)Aktion wie ein Freiluft-Kino oder ein öffentlicher Sportkurs sein. Das kann aber auch genauso gut ein Kunstobjekt sein. Meiner Meinung nach braucht es dafür mehrere kleine Angebote. Nur eine Wiese ohne irgendeine Form von Bespielung oder von irgendeiner Aktivität reicht in der Regel nicht.

Was halten Sie von der Umsetzung der neuesten Stadtentwicklungsgebiete wie dem Sonnwendviertel?

Insgesamt sehen alle auffallend ähnlich aus... Was man nicht vergessen darf: Es werden in einem irren Tempo riesige Viertel hochgezogen, die von der Größe eigene Städte oder Ortschaften sein könnten.Für mich ist es schwierig, über Generationen und große Viertel hinaus zu denken, da man eigentlich für ein paar Jahrhunderte und für tausende Menschen plant. Das Ergebnis wird sich erst nach einer gewissen Zeit zeigen und dann entsprechend nachjustiert werden müssen. Gerade das Grün ist erst in den letzten Jahren so richtig angekommen, vor allem aufgrund des Klimas. Es braucht aber definitiv ein Angebot an Bewegung bzw. eine Zonierung und vielleicht auch etwas gegen die Lautstärke. 

Denken Sie, in den letzten Jahren hat ein Umschwung stattgefunden? Nutzen die Menschen die grüne Fläche inzwischen anders?

Corona hat gezeigt, wie wichtig der öffentliche Raum ist. In allen Bezirken und vor allem innerstädtisch merken die Leute sehr, wie stark sich die Stadt im langen und heißen Sommer aufheizt. Da wurde den Menschen schnell bewusst, dass die Qualität eines Naherholungsgebiets um die Ecke sehr wichtig ist. Ich glaube, dass es für die Menschen angenehmer ist, nicht einen großen Bereich, sondern viele kleine Viertel mit Grün dazwischen zu haben. Zur Erholung ist Bewegung wichtig, vor allem wenn man ein relativ großes Wohngebiet hat. Aber ich finde die Frage der Zusammenkunft, die Möglichkeit, zusammenzukommen und sich auszutauschen, viel wichtiger. Zum Beispiel kleine Zentren, wo man zusammenkommen und sich austauschen kann. Wenn man Infrastruktur fußläufig gut erreichen kann, bewegt man sich automatisch mehr.

Welche Prozesse sind notwendig, um zukünftige Lösungen zu gestalten?

Die Flexibilität muss schon in der Planung berücksichtigt werden. Bei Prozessen gibt es eine Phase, in der viel gedacht, viel überlegt und viel geplant wird. Und es gibt eine Phase, in der gebaut und gelebt wird. Und dann sollte es noch eine Phase geben, in der man sich das Ganze noch einmal bewusst anschaut und Möglichkeiten der Anpassung erlaubt. Für diesen letzten Teil ist oft keine Zeit. Generell ist es in der Stadtpsychologie wichtig, nicht immer nur die Einzelperson, sondern auch die Gesamtheit der Menschen im Stadtviertel zu betrachten.

Was muss ein zeitgemäßer Platz aufweisen, um auch zukünftig anpassbar zu bleiben?

In meiner Methode „aktivierende Stadtdiagnose“ habe ich mich mit der Aneignung von Orten, Ortsbindung und der Identifikation mit der Umwelt beschäftigt. Einer der Gründe, warum manche Plätze ‚nicht funktionieren’ ist, dass bei der Gestaltung zu sehr auf Ästhetik und künstlerische Gestaltung Wert gelegt wurde und zu wenig auf die Bedürfnisse der Nutzer geachtet wird. Sei es der Mangel an guten Sitzgelegenheiten, schlecht einseh- und erreichbar Ein- und Ausgänge, ungünstige Verkehrssituationen oder kein Aktivitätsangebot. Im Umkehrschluss kann durch solche Angebote eine bessere persönliche, soziale und öffentliche Nähe und Nutzbarkeit hergestellt werden.

Können Sie eine Zukunftsprognose im Hinblick auf die Städte stellen, wie sich der öffentliche Raum verändern könnte?

Ich glaube, dass der soziale Druck auf den öffentlichen Raum zunehmen wird. Der Klimawandel wird eine große Rolle spielen und den auto-/verkehrsfreien Raum in den Fokus rücken. Damit geht auch der soziale Wandel einher. Zunehmend mehr Jugendliche und jüngere Menschen rutschen in die Obdachlosigkeit. Für das alles muss der öffentliche Raum Platz bieten. Die Stadtentwicklung hat bis jetzt immer sehr gut reagiert und beschäftigt sich schon seit zehn Jahren damit, was ist, wenn wir mehr Menschen (im öffentlichen Raum) werden. Der öffentliche Raum ist ein spannendes Feld, ein Ort der Dialektik, ein Ort des Konflikts, das wird immer so bleiben. Die Gestaltung kann nicht alles lösen. Dafür braucht man soziale Interventionen.

Was ist für Sie persönlich in Ihrer Umgebung ein Identifikationsmerkmal?

Für mich ist es der Kutschkermarkt in Wien-Währing. Einerseits weil ich dort einkaufen gehe, andererseits ist es einfach ein schöner, durchmischter und lebendiger Platz. Er hat einen sehr hohen attraktiven Wert, auch wenn ich nur vorbeispaziere (lacht).

Frau Ehmayer-Rosinak, vielen Dank für Ihre Einschätzung!

Was bedeutet für Sie Identität in der Stadtplanung?

Einerseits hat das etwas mit Geschichte und der eigenen Umgebung, in der man aufwächst, zu tun. Die Identität ist aber viel mehr als nur ein emotionaler Zugang, sondern auch etwas Selbstreflektiertes, vielmehr ein direkter Bezug zur Stadt selbst. Das passiert oftmals über Beteiligung oder Aneignung, sei es zur Wahl zu gehen oder die Aneignung von öffentlichem Raum durch etwa Urban-Gardening. Damit wird die Stadt zu einem Teil von mir selbst. 

Wie schafft man es ihrer Meinung nach, dass die Bewohner sich in ihrer Gegend heimisch fühlen und sich mit dem Ort identifizieren können?

Dazu gibt es sehr viele Theorien und Studien. Der Ort, mit dem meistens die stärkste Verbundenheit herrscht, ist die eigene Wohnung. Das hat vor allem mit der einfachen Aneignung des Raumes zu tun. Das geht aber auch über die eigenen Vier-Wände hinaus. Wenn man in einem Viertel wohnt, das man mag und wo man sich gerne aufhält, ist es viel identitätsstiftender als wenn man aus Not an einen Ort ziehen muss. Der Mensch muss sich wohl fühlen. Zudem führt eine gefällige Architektur zu einer stärker ausgeprägten Identität und damit zu einer höheren Bereitschaft bei Beteiligungsprojekten mitzugestalten. Umgekehrt ist es aber auch so, dass wenn man Menschen einlädt bzw. die Möglichkeit gibt, an ihrer Wohnumgebung mitzuwirken, dass das Identitätsgefühl gesteigert wird. Je mehr Sinne bedient werden im Leben, desto stärker wirkt es auf einen. Das Angebot, im öffentlichen Raum etwas beitragen zu können, wirkt identitätsstiftend. Wobei es meiner Meinung nach auch problembehaftet ist, wenn es im öffentlichen Raum abgegrenzte Bereiche für beispielsweise eben erwähntes Urban-Gardening gibt. 

Welche gestalterischen Qualitäten braucht der öffentliche Raum?

Beispiel Sitzmöbel: Aus psychologischer Sicht gibt es verschiedene Möglichkeiten Sitzgruppen kommunikativ aufzustellen. Die „prospect refuge“ Theorie besagt, dass man Schutz und Überblick braucht. Man möchte mit dem Rücken geschützt sitzen und das Geschehen auf der Straße beobachten können. Außerdem wäre eine gewisse Mobilität von Möbeln wünschenswert, damit man sich in Gruppen zusammensetzen kann. Durch solche gestalterischen und funktionellen Qualitäten findet mehr Kommunikation statt und es wird das soziale Miteinander gefördert. Studien zufolge lachen die Menschen dann sogar mehr (lacht).

Denken Sie, dass eine Privatisierung öffentlicher Flächen ein Problem darstellt?

Das Problem ist eher die Kommerzialisierung. Aus meiner Perspektive gibt es heutzutage mehr öffentliche Räume als früher, die jedoch zunehmend kommerzialisiert werden. Dadurch nimmt die Forderung nach konsumfreien Räumen immer stark zu.

Stellt die Versiegelung der städtischen Oberflächen ein weiteres soziales Problem dar? Kommen Menschen lieber in der Natur zusammen, oder kann ein asphaltierter Platz die gleichen Qualitäten bieten wie ein begrünter Park?

In der Umweltpsychologie gibt es ein ganz großes Themenfeld: Die „restorative environment“, also die erholsame Umgebung, wobei die Natur meistens im Vordergrund steht. Unter anderem wird Wasser in Kombination mit Grün ein hoher Erholungswert zugeschrieben. Der Donaukanal, der eine Stadtautobahn werden sollte, nimmt demnach eine wichtige Stellung ein, da er innerstädtisch eine abgesenkte und autofreie Zone in Verbindung mit Wasser und Grün darstellt.

Heutzutage unvorstellbar!

Definitiv! Man muss jetzt natürlich nicht immer in die Natur gehen. Erholung kann auch dann auftreten, wenn man sein alltägliches Umfeld wechselt, in ein Museum geht und die Kultur genießt. Generell lässt sich aber sagen, es gibt in den Menschen eine Sehnsucht nach Natur, aber keine nach Beton. Das andere ist, dass Menschen Plätze schätzen. Die italienische Piazza dient oft als hohes Vorbild, obwohl sie asphaltiert und versiegelt ist. Wenn man jedoch genau schaut, sitzen die Leute am Rande des Platzes im Café. Bäume, Schatten und Hitze sind gerade in der heutigen Zeit wichtige Punkte. 

Wie könnte man der Versiegelung und der Kommerzialisierung entgegenwirken? Bringen partizipative Planungsmodelle einen Vorteil?

Der öffentliche Raum ist ja bekanntlich durch den Flächenwidmungsplan und durch verschiedene Magistratsabteilungen vordefiniert bzw. überwacht. Beteiligungsformen helfen sehr, denn sie inkludieren auch diejenigen, die nicht wählen können. Die Beteiligung hilft, die Grenzen zu überwinden und allen eine Teilhabe zu ermöglichen. Mitsprache schafft auch Identität. Allerdings darf man auch nicht die demokratiepolitischen und gesetzlichen Verordnungen außer Acht lassen. Jemand muss das Projekt tragen. Und da ist dann wieder die Politik gefordert.

Wie kann man bei dem entstehenden Viertel im Nordwestbahnhof nachhelfen, damit dort ein belebter Ort entsteht? 

Das lässt sich über verschiedene Attraktoren gestalten. Man muss etwas schaffen, das den Ort attraktiv macht. Das kann eine orts-eigene (Sozial-)Aktion wie ein Freiluft-Kino oder ein öffentlicher Sportkurs sein. Das kann aber auch genauso gut ein Kunstobjekt sein. Meiner Meinung nach braucht es dafür mehrere kleine Angebote. Nur eine Wiese ohne irgendeine Form von Bespielung oder von irgendeiner Aktivität reicht in der Regel nicht.

Was halten Sie von der Umsetzung der neuesten Stadtentwicklungsgebiete wie dem Sonnwendviertel?

Insgesamt sehen alle auffallend ähnlich aus... Was man nicht vergessen darf: Es werden in einem irren Tempo riesige Viertel hochgezogen, die von der Größe eigene Städte oder Ortschaften sein könnten.Für mich ist es schwierig, über Generationen und große Viertel hinaus zu denken, da man eigentlich für ein paar Jahrhunderte und für tausende Menschen plant. Das Ergebnis wird sich erst nach einer gewissen Zeit zeigen und dann entsprechend nachjustiert werden müssen. Gerade das Grün ist erst in den letzten Jahren so richtig angekommen, vor allem aufgrund des Klimas. Es braucht aber definitiv ein Angebot an Bewegung bzw. eine Zonierung und vielleicht auch etwas gegen die Lautstärke. 

Denken Sie, in den letzten Jahren hat ein Umschwung stattgefunden? Nutzen die Menschen die grüne Fläche inzwischen anders?

Corona hat gezeigt, wie wichtig der öffentliche Raum ist. In allen Bezirken und vor allem innerstädtisch merken die Leute sehr, wie stark sich die Stadt im langen und heißen Sommer aufheizt. Da wurde den Menschen schnell bewusst, dass die Qualität eines Naherholungsgebiets um die Ecke sehr wichtig ist. Ich glaube, dass es für die Menschen angenehmer ist, nicht einen großen Bereich, sondern viele kleine Viertel mit Grün dazwischen zu haben. Zur Erholung ist Bewegung wichtig, vor allem wenn man ein relativ großes Wohngebiet hat. Aber ich finde die Frage der Zusammenkunft, die Möglichkeit, zusammenzukommen und sich auszutauschen, viel wichtiger. Zum Beispiel kleine Zentren, wo man zusammenkommen und sich austauschen kann. Wenn man Infrastruktur fußläufig gut erreichen kann, bewegt man sich automatisch mehr.

Welche Prozesse sind notwendig, um zukünftige Lösungen zu gestalten?

Die Flexibilität muss schon in der Planung berücksichtigt werden. Bei Prozessen gibt es eine Phase, in der viel gedacht, viel überlegt und viel geplant wird. Und es gibt eine Phase, in der gebaut und gelebt wird. Und dann sollte es noch eine Phase geben, in der man sich das Ganze noch einmal bewusst anschaut und Möglichkeiten der Anpassung erlaubt. Für diesen letzten Teil ist oft keine Zeit. Generell ist es in der Stadtpsychologie wichtig, nicht immer nur die Einzelperson, sondern auch die Gesamtheit der Menschen im Stadtviertel zu betrachten.

Was muss ein zeitgemäßer Platz aufweisen, um auch zukünftig anpassbar zu bleiben?

In meiner Methode „aktivierende Stadtdiagnose“ habe ich mich mit der Aneignung von Orten, Ortsbindung und der Identifikation mit der Umwelt beschäftigt. Einer der Gründe, warum manche Plätze ‚nicht funktionieren’ ist, dass bei der Gestaltung zu sehr auf Ästhetik und künstlerische Gestaltung Wert gelegt wurde und zu wenig auf die Bedürfnisse der Nutzer geachtet wird. Sei es der Mangel an guten Sitzgelegenheiten, schlecht einseh- und erreichbar Ein- und Ausgänge, ungünstige Verkehrssituationen oder kein Aktivitätsangebot. Im Umkehrschluss kann durch solche Angebote eine bessere persönliche, soziale und öffentliche Nähe und Nutzbarkeit hergestellt werden.

Können Sie eine Zukunftsprognose im Hinblick auf die Städte stellen, wie sich der öffentliche Raum verändern könnte?

Ich glaube, dass der soziale Druck auf den öffentlichen Raum zunehmen wird. Der Klimawandel wird eine große Rolle spielen und den auto-/verkehrsfreien Raum in den Fokus rücken. Damit geht auch der soziale Wandel einher. Zunehmend mehr Jugendliche und jüngere Menschen rutschen in die Obdachlosigkeit. Für das alles muss der öffentliche Raum Platz bieten. Die Stadtentwicklung hat bis jetzt immer sehr gut reagiert und beschäftigt sich schon seit zehn Jahren damit, was ist, wenn wir mehr Menschen (im öffentlichen Raum) werden. Der öffentliche Raum ist ein spannendes Feld, ein Ort der Dialektik, ein Ort des Konflikts, das wird immer so bleiben. Die Gestaltung kann nicht alles lösen. Dafür braucht man soziale Interventionen.

Was ist für Sie persönlich in Ihrer Umgebung ein Identifikationsmerkmal?

Für mich ist es der Kutschkermarkt in Wien-Währing. Einerseits weil ich dort einkaufen gehe, andererseits ist es einfach ein schöner, durchmischter und lebendiger Platz. Er hat einen sehr hohen attraktiven Wert, auch wenn ich nur vorbeispaziere (lacht).

Frau Ehmayer-Rosinak, vielen Dank für Ihre Einschätzung!
Modul Integrales Kommunikationsdesign und VisualiserungInstitut für Kunst und Gestaltung,
Master Architektur, TU Wien
Betreuung: Enrico Bravi, Florian Gruber, Anna Soucek,
Simon Schweighofer, Otto Mittmannsgruber, Tobias Schererbauer