Interviews

Wie verzichten?

Dorothea Koscis verzichtet seit 2005 jedes Jahr auf etwas und dokumentiert ihren Selbsttest in Büchern. Wir haben sie gefragt, was ihre Erfahrung ist und ob sie Tipps für uns hat.

„Ich setze mir immer ein Zeitlimit. Ein Jahr ist eine längerfristige Dauer, um eine Gewohnheit zu verändern.“
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Klima und Verzicht

Jasmin Duregger ist Klimaexpertin bei Greenpeace. Wir trafen sie zum Gespräch.

„Wir brauchen alle Menschen. In den letzten Jahren wurde immer gepredigt: Jeder kann selbst die Welt retten, indem er das Lichtabschaltet. Dabei wurde ein falsches Bild vermittelt, indem Klimaschutz beim Individuum ansetzt und nicht in der Politik oder bei Unternehmen.“
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Macht Ihr persönlicher Verzicht das Klima besser?
Nein! Aber es geht um die Menge an Menschen, die verzichten. Wie ich damals das Buch „Ein Jahr ohne Auto“ geschrieben habe, war der Klimawandel noch kein Thema. Ich hörte nur einen kurzen Bericht auf Ö1 und fragte mich, warum spricht davon niemand? Ich dachte mir ich muss etwas unternehmen und beschloss auf das Auto zu verzichten. Ich dokumentierte mein Projekt und als das Buch geschrieben war stürzten sich die Medien auf mich. Mit dem Ansturm habe ich nicht gerechnet, aber es haben dadurch viele Leute erfahren und das hat mich motiviert weiterzumachen.

Haben Sie das Gefühl durch Ihren Verzicht etwas erreicht zu haben?
Das Verzichten ist wie ein Training. Du stellst dir eine Aufgabe und du versuchst sie zu lösen oder sich diszipliniert daran zu halten. Es ist deine Aufgabe, die du dir gestellt hast. Es wird dir keiner dabei helfen oder das Problem abnehmen. Du musst es selbst lösen. „Wie werde ich den Müll los?“ oder „Wie komme ich mit drei Kindern ohne Auto im Winter von A nach B?“ Aber wenn ich es einmal geschafft habe, wusste ich, dass ich selbstständig bin und bekam dadurch eine unglaubliche Freiheit geschenkt. Als Konditorin selbstständig zu sein habe ich mir nur zu habe ich mir nur getraut wegen den vielen Projekten in den Jahren zuvor.

Sie haben schon auf sehr viel Verzichtet. Was reizt Sie am Verzicht?
Verzichten ist geistiger Luxus. Viele Menschen haben andere Sorgen in ihrem Alltag als CO₂ einzusparen. Damals bei meinem ersten Versuch hatte ich drei kleine Kinder zu Hause und ich wollte eine Challenge. Es machte Spaß, auch wenn es eine Herausforderung war. Wir leben in einer Konsumgesellschaft. Wir können uns alles leisten und sind bequem. Doch wenn sich keiner verändert, wird sich alles verändern.

Würden Sie für ihren Verzicht gerne belohnt werden? Denken Sie, dass durch eine Belohnung mehr Leute verzichten würden?
Ich bin unbestechlich. [lacht und überlegt]Geld werden vielleicht ein paar als Zuckerl annehmen, doch rein finanziell wird nicht jeder erreichbar sein. Ich denke, es funktioniert nur, wenn die Politik dahintersteht und möglichst viele Zuckerl breit gestreut werden. Die bequeme, träge Masse dazu bringen CO₂ einzusparen ist zäh. Mich motiviert der Gewinn den ich durch den Verzicht habe: die höhere Lebensqualität und am Ende bemerke ich auch immer, dass viel Geld übrig bleibt.

Verzichtsprofi, mögen Sie uns ein paar Tipps geben? Wie lange sollten wir verzichten?
Ich setze mir immer ein Zeitlimit. Ein Jahr ist eine längerfristige Dauer, um eine Gewohnheit zu verändern. Auf jeden Fall sollte die Verzichtsphase länger als drei Monate sein, da sich erst nach einigen Wochen im Gehirn eine neue Gewohnheit bilden kann.


Was machen Sie, wenn Sie Rückfallen?
Um Durchzuhalten, können Ersatzbefriedigungen eingesetzt werden. Ein Beispiel wäre Rosinensüße anstatt Zucker oder anstatt dem Auto das Rad zu nehmen. Das wird belächelt, aber Radfahren kann auch süchtig machen! Verzicht klingt immer nach Verbot. Halte dir immer die Qualität vor Augen, die du durch den Verzicht gewinnst.

Was gewinne ich durch den Verzicht?
Zum Beispiel durch das Rad fahren werde ich fit! Oder anstatt in das Fitnessstudio zu gehen, radle ich zum Supermarkt. Oder ich esse im Advent keinen Zucker, aber zu Weihnachten ist Zucker dann ein Geschenk. Ich schätze Kekse dann mehr, da sie nicht selbstverständlich sind. Ebenso beim Zugfahren wir dir viel Zeit geschenkt. Der Zug wartet zwar nicht auf dich, aber sobald du drinnen sitzt, musst du nicht mehr lenken und aufpassen. Es ist deine Erholung. Du kannst Zeitung lesen, schlafen, …Ich entscheide mich nun vegan zu leben.

Soll ich es zuerst geheim halten und es ausprobieren?
Ich habe meine Entscheidung immer meinem sozialen Umfeld mitgeteilt. Bei einem Jahr ohne Auto habe ich den Schlüssel in den Safe meiner Freunde gelegt, samt Zulassung und Führerschein. Versuche erst gar nicht dein Projekt geheim zu halten, nur weil du Angst am Scheitern hast. Erzähle von deinen Ängsten! Lege deine Ängste ab, sie hindern dich an allem: Am frei sein, am Spaß haben, am locker sein. Erzähle allen davon: Deiner Familie, deinen Freunden, deinen Nachbarn. Wenn du schwach wirst, kannst du dir Rat und Unterstützung holen.

Warum fahren dann noch immer so viele MenschenAuto, wenn es doch in Wien ein super Öffi-Netz gibt?
[im Hintergrund hören wir ständig Autos hupen und brummen]

Das liegt daran an was du gewöhnt bist. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Die Autofahrerdraußen sind es gewohnt diese Strecke mit dem Auto zu fahren und nicht mit den Öffis. Ich war auch so - gewohnheitsmäßig nimmst du den Schlüssel und fährst los. Nun schaue ich gewohnheitsmäßig auf Scotty, wann der nächste Zug oder Bus kommt. Das ist eine Umstellung, aber alles kann zur Gewohnheit werden. Die größere Hürde ist vielmehr etwas Neues auszuprobieren. Gedanken wie „oje, kann ich das?“ oder „Hilfe, ich scheitere bestimmt“ hindern einem aus der Normalität auszubrechen. Doch probiere mal etwas aus, ändere deine Gewohnheit, nach drei-vier Monaten ist’s a gmahde Wiesn. Dann beginnt die Freiheit, weil du sicher gehen kannst, dass du von nichts mehr abhängig bist.

Bist du schon einmal auf die Nase gefallen?
Das Jahr ohne Zucker musste ich abbrechen. Ich bekam meine Periode und fraß um drei Uhrnachts Kekse aus der Dose. So sehr ist mir der Zucker abgegangen. Ich bin jetzt auch Zuckerbäckerin geworden. Jetzt geht es aber besser, da ich Alternativen gefunden habe. Das Projekt ohne Müll zu leben dauerte doch länger als gedacht –es brauchte vier Jahre um unseren 5-Personen Haushalt auf null Müll herunter zu schrauben. Die Frage war, ob das überhaupt möglich ist und was übrigbleibt. Nach den vier Jahren war ich fertig [lacht] Bei allem was ich gekauft habe und angegriffen habe, stellte ich mir die Frage: Was passiert, wenn das kaputt wird? Die Medien interessieren sich kaum für dieses Buch. Ohne Müll zu leben ist futuristisch.
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Ist persönliches Verzichten ein Trend oder können wir dadurch wirklich einen Beitrag gegen die Klimakrise leisten?
Klar, gibt es Verzichten als Trenderscheinungen. Sie sind aber etwas sehr Privilegiertes. Durch diese Trends können aber aktuelle Gedankenabgelesen werden: Was macht mich wirklich glücklich? Brauche ich überhaupt diesen ganzen Materialismus? Wir können durch Verzicht sehr viel gewinnen. Wenn wir auf das Auto verzichten, gewinnen wir nicht nur etwas fürs Klima, sondern auch bessere Luftqualität und oft auch ein besseres Leben durch sanfte Mobilität. Doch es ist schwierig den inneren Schweinehund zu überwinden und neue Gewohnheiten annehmen zu können. Um Anreize zu setzen, muss immer der Gewinn im Fokus stehen.

Können wir als Konsument:innen durch unseren Verzicht oder Konsum Einfluss nehmen?
Natürlich! Jeder muss schauen, wo ein Beitrag geleistet werden kann. Grundsätzlich könnten wir durch die freie Marktwirtschaft auch einen Einfluss haben. Wenn wir mit dieser Idee mitgehen, brauchen wir aber auch einen fairen Markt, der ein echtes Preissignal abbildet. Gerade haben wir einen komplett verzerrten Markt, indem wir in Österreich jährlich bis zu 4,7 Milliarden in klimaschädliche Subventionen pumpen. Es leuchtet tatsächlich niemanden ein, warum Flüge 40€ kosten und der Zug 200€ für die gleiche Strecke.
Wir haben noch immer viele Anreize wie Kerosinsteuer- befreiung oder eine geringe Mineralölsteuer, die klima- schädliche Produkte günstiger machen. Darauf können wir sehr wohl Einfluss nehmen und den Zug wählen. Aber es wird einemerschwert und es hängt von der sozialen und finanziellen Lage der Konsument:in ab.

Wenn ich als Konsument:in ein Produkt nicht kaufe, dann wird es ja nicht produziert, oder?
Es wurde uns gelernt, dass wir durch Konsum Einfluss haben. Doch das ist ein Henne-Ei-Problem. Was war zuvor: Das Angebot oder das Bedürfnis? Unternehmen behaupten gerne: „Wir produzieren nur das, was Konsument:innen wollen.“ Doch ganz so leicht ist das nicht. Es gibt eben Rahmenbedingungen wie Steuern.

Brauchen wir als Gesellschaft ein kollektives Verzichten oder braucht es Verbote?
Es entstehen bestimmt neue Normen. Aber das erreicht meist nicht alle Menschen oder es entsteht eine Bubble, wo z.B. die Norm ist, dass alle Vegetarier sind. Seit 2012 gibt es 6% Vegetarierin Österreich. Diese Zahl ist seit 10 Jahren stabil. Das ist zu wenig. Wir brauchen alle Menschen. In den letzten Jahren wurde immer gepredigt: „Jeder kann selbst die Welt retten, indem er das Licht abschaltet.“ Dabei wurde ein falsches Bildvermittelt, indem Klimaschutz beim Individuum ansetzt und nicht in der Politik oder bei Unternehmen. Ich finde es interessant, dass bei Fußabdruckrechner immer ein großer Teil der graue Fußabdruck ist. Den grauen Teil kannst du nicht beeinflussen, weil das Graue bestimmt jemand anders über dich. Genau auf diesen Ebenen braucht es Verbote und Gebote.


Wenn wir uns alle beteiligen, könnten wir das Ziel dann erreichen?
Die großen Emissionen liegen nicht bei dir oder bei mir. Klimaschutz ist keine Mitmachbewegung wie es die ehem. Klimaschutzministerin Köstinger behauptete. Auch in den Medien wird andauernd verzerrt, was ökologisch Sinn hat. Ich halte nichts von hinhacken, was Boulevard Medien gerne machen, weil z.B. Greta Thunberg Toast mit Plastikverpackung isst. Wir zeigen gegenseitig mit den Fingern auf uns, aber nicht auf die, die eigentlich die Verantwortung und Macht haben, nämlich große Unternehmen und Politik.

Ist Verzichten in einer Stadt wie Wien einfacher als politisches Handeln?
Verzicht ist Jahrzehnte lang gepredigt worden. Doch wenn wir über Individuen sprechen, ist nicht nur der Verzicht wichtig, sondern die Rolle als Bürger:in. Verzichten ist bestimmt leichter und gelernter als politisches Handeln. Ist der Verzicht doch die letzte Rettung? Sollte Verzicht belohnt werden?Klimaschädliches Verhalten muss teurer werden und klimafreundliches billiger. Das wäre schon eine Belohnung. Für die Mittelschicht hat das bestimmt Sinn, Jeff Bezos wird sich davon wahrscheinlich nicht beeindrucken lassen. [lacht]

Warum fahren dann immer noch so viele Menschen mit dem Auto, wenn das Öffi Netz ausgebaut ist und günstiger als ein Auto ist?

Der Fokus liegt oft darauf, wie kann ich eine Funktion durch eine andere ersetzen. Die Funktion des Autos ist, dass es mich von A nach B bringt – das können Öffis auch. Von Fleisch ist die Funktion, dass ich satt werde und es gut schmeckt– das kann Laborfleisch auch. Aber Fleisch und Auto haben nicht nur eine Funktion, sondern auch einen symbolischen Nutzen wie ein Auto ein SUV ist oder das Fleisch ein argentinisches Rindersteak, was gestreichelt wurde. Dieser symbolische Nutzen ist sehr wichtig, um Identität zu formen, und dieses Statussymbol kann man mit Laborfleisch oder U-Bahnen nicht erfüllen. Das sind Knackpunkte, die oft ausgeblendet werden.

Auf was könnte in Wien verzichtet werden?
Ich bin froh, dass nicht die Frage kommt: Und was kann jetzt gemacht werden, um im Alltag CO₂ zu sparen? Diese Frage wird mir so oft am Ende von Interviews gestellt. [lacht] Es gibt drei große Blöcke an denen geschraubt werden muss: Energie und Wärme, Verkehr, und die Nahrungsproduktion.

Worauf könnten wir bei Energie und Wärme verzichten? Auf diese deppaden Gasheizungen könnten wir wirklich verzichten. Gasthermen müssen so oft gewartet werden und sind andauernd kaputt und am Ende muss man darüber mit Vermietern streiten. Gas ist ein großes Klimaproblem und zusätzlich ist die Usability auch nicht gerade geil.

Wie lange wird es in Wien noch Autos geben?
Auch wenn es keiner hören will: Das Auto muss raus aus der Stadt. Wir müssen uns die Frage stellen, wo macht das Auto Sinn und wo nicht? Wenn der durchschnittliche Besetzungsgrad eines Autos 1,1 ist, macht das keinen Sinn. Im Frühverkehr, allein, mit einem Laptoptascherl ins Büro fahren: auf das werden wir verzichten müssen. Wir müssen Städte so bauen, dass wir auch ohne Auto zurecht kommen. Ich wollte einmal zum Leiner in der SCS und ich bin als Fußgänger fast nicht hingekommen. Es hatte gefühlt 40° C in dieser Betonhölle da draußen. [lacht] Es ist so geplant, als würde jeder mit dem Auto hinkommen. Ich bin schlussendlich irgendwie über den Lieferanteneingang hingekommen. Aber das ist wirklich der Gipfel der Absurdität. Funktionale Dinge und kurze Wege müssen eben auch geplant werden.
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