Ewald Lochner (48) ist Koordinator für Psychiatrie, Sucht- und Drogenfragen der Stadt Wien und Vorsitzender von Greenpeace in Zentral- und Osteuropa. Wir haben genau aufgrund dieser spannenden Kombination der Tätigkeitsfelder Drogen und Klima das Gespräch mit ihm gesucht, da er somit eine Expertenhaltung zu dem von uns gewählten Schwerpunkt einnehmen kann.
Neben seiner politischen Haltung wollten wir dabei auch Näheres zu seinen persönlichen Meinungen und Erfahrungen kennenlernen und auch auf sein langjähriges Fachwissen zurückgreifen.
Im Kontrast zu der sachlichen und nüchternen Sichtweise
Ewald Lochners auf Rauschmittel und Klima, haben wir als zweiten Interviewpartner Dominik Graef gewählt.
Er ist selbstständiger Unternehmer und beliefert als CBD-Bauer den Wiener Markt mit Bio-CBD. Er ist viel gereist und beschäftigt sich mit Yoga, welches er auch unterrichtet. Somit ist er auch charakterlich ein spannender Kontrapunkt zu unserem ersten Interviewpartner.
Wir beschäftigen uns mit dem Rauschmittelkonsum der Wiener*innen und damit, wie sich der Rauschmittelkonsum auf das Klima auswirkt. Da ist uns aufgefallen, dass Cannabisprodukte und – in letzter Zeit – CBD-Produkte in Wien zunehmend beliebt sind. Gibt es eigentlich auch Bio-CBD?
Ja. Meine CBD-Produktion hier ist BIO-zertifiziert und ist die einzige mit Bio-Zertifikat, die ich kenne.
Wie bist du dazu gekommen, Bio-CBD zu produzieren?
Bio ist mir grundsätzlich wichtig, weil ich denke, dass es wichtig ist, dass wir auf die Natur schauen. Jeder Landwirt, der nicht Bio zertifiziert ist, sollte das meiner Meinung nach umstellen, und deshalb ist es für mich sowieso eine Grundvoraussetzung, wenn ich Land bewirtschafte, dass es biologisch gemacht wird. Und wie ich überhaupt darauf gekommen bin, CBD zu produzieren?Ich habe mir 2017 gedacht: Warum hat noch nie jemand Nutzhanfpflanzen genommen und einfach die Männchen ausgerissen, damit die Männchen die Weibchen nicht bestäuben können, sodass sie keine Samen bekommen können? Man will Hanfblüten ohne Samen haben. Und das habe ich dann aus Spaß probiert, und damit war ich zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort. Ein paar Monate später hat der erste CBD-Shop in Wien eröffnet, und da war ich dann in einer guten Position. Es gab kaum andere Produzenten. So gab es plötzlich einen Markt und eine Nachfrage für ein Produkt, dass ich vorher - ohne einen Plan zu haben -produziert hatte.
Was unterscheidet CBD von anderen Cannabisprodukten, warum ist es legal ?
Es ist deshalb legal, weil EU-zertifiziertes Saatgut verwendet wird, das unter 0,3% THC enthält - zumindest theoretisch. Wenn Du auf ein Feld von einem Hanfbauern gehst und dort Analysen durchführst, wirst Du aber garantiert viele Pflanzen finden, die mehr als 0,3 Prozent THC enthalten. Aber auf dem Papier ist es so, und deswegen ist es legal.
Betreiben die anderen CBD-Produzenten konventionelle Landwirtschaft? Werden deren Felder zum Beispiel gespritzt?
Das weiß ich nicht genau. Manche spritzen ihre Felder, soweit ich weiß. Die meiste Ware am Markt ist chemisch behandelt, weil vieles aus dem Ausland kommt und über 0,3% THC enthält, was dann chemisch mit Laugen abgewaschen wird. Anschließend werden synthetisch hergestellte CBD-Kristalle darauf gesprüht. Circa 85 % der Ware am Markt ist auf diese Weise chemisch behandelte Ware.
Wohin wird das CBD, das du produzierst, geliefert?
CBD hat österreichweit Abnehmer und wird in erster Linie über den Großhandel in Österreich vertrieben. Ich beliefere alle möglichen Shop-Ketten und habe keinen exklusiven Partner. Über die Shops kommt es dann auch nach Deutschland.
Das heißt, wenn wir in Wien BIO-Hanf im Automaten sehen, ist das von dir produziert?
Ja, sehr wahrscheinlich. Ich kenne niemanden sonst, der BIO-CBD-Hanf produziert. Es ist dem Markt und den Shops ziemlich egal, ob das CBD biologisch angebaut wurde. Die Shopbetreiber wollen in erster Linie günstig einkaufen. Aber es gibt schon Kunden, denen das wichtig ist.
Für uns ist die Frage nach der Klimafreundlichkeit von CBD interessant. Vor allem interessiert uns der Anbau und Transport vom CBD. Kannst du uns da einen Einblick geben?
Die Produktion passiert Outdoor und braucht keine zusätzliche Wasserzugabe, weil das Regenwasser zur Bewässerung ausreicht. Anbau und Bestellung des Feldes sind fast komplett Handarbeit.
Wir arbeiten im Frühjahr einmal kurz mit Maschine, aber der Rest wird dann in Handarbeit erledigt.
Wie groß ist das Feld oder die Felder?
Die Anbaufläche ist circa 800 m² groß. Ich produziere CBD-Blüten-Tee und Extrakt.
Wir haben unterschiedliche Studien gelesen zum CBD-Konsum in Wien und haben bemerkt, dass der Markt wächst und wächst. Spürst du die große Nachfrage?
Ich habe jedes Jahr mehr verkauft, und der Umsatz ist jedes Jahr gestiegen. Auch die Anbaufläche ist größer geworden über die Jahre.
Ist es eine Option, die Pflanzen mittels Setzlinge selbst zu vermehren, oder muss man auf das EU-zertifizierte Saatgut zurückgreifen?
Das ist ein heikler Punkt... Offiziell verwenden alle CBD-Bauern EU-zertifiziertes Saatgut, aber ich vermute, dass es inoffiziell bei vielen anders läuft. Ich schätze, dass häufig Mutterpflanzungen gemacht werden und von denen Setzlinge genommen werden, um die Pflanzen zu vermehren. Die Vermehrung mit Setzlingen ergibt insofern Sinn, als sie eine gleichbleibende Qualität garantiert, weil eine gut wachsende Mutterpflanze genetisch stabiler ist. Sie ist aber nicht legal.
Wie viele Erntehelfer brauchst du dann für dieses 800m² große Feld ?
Im Prinzip beginnt es im Mai mit den Eisheiligen. Da werden die Pflanzen rausgesetzt, und dann brauchst Du das ganze Jahr eine Person, die das Feld betreut. Im Herbst kann man mit etwa fünf Leuten in einer Woche alles ernten. Von der Ernte bis zur Auslieferung an die Shops passieren viele Zwischenschritte, je nachdem, welches Produkt entstehen soll. Schneidarbeit und Trimmarbeit leisten wir, und dann wird das in großen Gebinden gelagert und je nachdem, wer was braucht, wird es dann abgepackt. Die CBD-Shops kümmern sich dann darum, dass es in verkaufsfähige Mengen gebracht wird.
Gibt es Abfälle, die dabei anfallen?
Nein, in dem Sinn gibt es keine Abfälle - es wird nichts weggehaut! Es gibt nichts, das nicht zu verwerten wäre - alles wird zu Tee weiterverarbeitet, oder es wird daraus ein CBD-Extrakt extrahiert.
Glaubst du, dass du die Feldflächen vergrößern wirst in den nächsten Jahren, weil der Umsatz weiter steigt?
Na, glaub i ned... Na, sicher ned. I will ned mehr arbeiten. Der Trend der letzten vier Jahre war aber so, dass es jedes Jahr mehr Nachfrage gab.
Siehst Du Dich eher als Vollerwerbs-CBD-Bauer oder ist das ein Hobby für Dich? Kann jeder, der einen 800 m2 großen Garten mit Hanf vollpflanzt, davon leben?
Naja, man braucht natürlich das Knowhow, um das zu machen. Ich glaube, daran scheitert es schon bei den Meisten. Aber grundsätzlich kannst Du davon auf jeden Fall leben. Ich meine, es kommt darauf an, wie man lebt, aber ich denke, ein durchschnittlicher Österreicher kann auf jeden Fall davon leben.
Kann die österreichische CBD-Produktion die Nachfrage des österreichischen Marktes decken, oder werden große Mengen importiert?
Beides. Es wird extrem viel exportiert und extrem viel importiert.
Wie glaubst du, dass es weitergeht? Wird der THC-haltige Hanf in Zukunft legal werden?
Das ist schwer zu beantworten. Was man definitiv sagen kann, ist, dass die Regulatorienseite das Leben der Hanfbranche sehr schwierig macht, weil sie Hanf als Pharmaceutical (medizinisches Produkt) einstufen wollen. Hanf ist ja ein Produkt, dass den Menschen hilft. Ich vermute, dass die Pharmaindustrie daran interessiert ist, dass THC-haltiges Cannabis verboten bleibt – oder sie versucht, sich das soweit wie möglich unter den Nagel zu reißen. Das passiert ja jetzt schon mit dem medizinischen Cannabis und ich denke, das wird auch so weitergehen.Ich glaube, dass sie den Hanfbauern weiter das Leben schwermachen und versuchen, so viel wie möglich zu reglementieren und so die Produktion in die Hände von größeren Konzernen zu bringen.
Wie sähe die umweltfreundlichste Hanfproduktion aus, die du dir vorstellen kannst? Was wäre für die Umwelt die beste Situation?
Für die Umwelt wäre es am besten, wenn man Systeme schaffen würde, die ökologisch, aber auch ökonomisch nachhaltig sind. Im im Grunde ist Hanf eine Pflanze, die bei uns super wächst und super Erträge bringt. Diese völlig miserable Art, wie wir das Land momentan bewirtschaften, ist fernab von nachhaltig. Denn auch die EU-Fördersysteme sind nicht nachhaltig, sondern so aufgebaut, dass die Kleinbauern sterben, so dass wir keine wirklich nachhaltige Landwirtschaft machen können. Da musst du auf einem frischen Markt starten, so wie ich das gemacht habe, sonst bist du ein Sklave des Förderungssystems. Diese Förderungen sind ja keine bedingungslosen Zahlungen, sondern quasi Handschellen, die du bekommst, und dafür musst du dann Bedingungen erfüllen. Ich denke, es wäre gesund, wenn man das Förderungssystem wie es jetzt ist, abschaffen würde. Bauern sollten dafür belohnt werden, wenn sie individuelle Konzepte haben, die nachhaltig sind – im Sinne wahrer Nachhaltigkeit, also so, dass der Landwirt Gewinn macht und die Natur keinen Schaden trägt, sondern es der Natur etwas bringt. In der Permakultur ist Nachhaltigkeit sehr klar definiert: Und zwar ist etwas nachhaltig, wenn es in seiner Lebzeit mehr Energie gemacht hat als es verbraucht hat. Ganz einfach.
Wäre das beim Hanf zum Beispiel der Fall, wenn man es einfach legal outdoor anbaut, statt irgendwo indoor im Versteckten mit tausend Lampen...?
Genau... Wenn man ein bissl ein gärtnerisches Verständnis hat und sich mit der Natur beschäftigt, dann kriegt man mit, was nachhaltig ist und was nicht, weil man sieht, wie sich die Natur verhält. Wenn ich vergleiche, wieviel Ertrag ich dem gegenüber aus den 800 m² Anbaufläche rauswirtschaften kann und wie wenig Input das braucht, zeigt sich, dass das ein nachhaltiges System ist.
Das Wasser kommt vom Regen und nebenbei entsteht sehr viel Biomasse für den Hof, z.B. durch Stängel. Der Boden wird verbessert. Das heisst, ich hab sehr viele Vorteile und eigentlich keine Nachteile.
Also heißt das im Kern: Hanf ist eine Pflanze, die man ohne zusätzliche Bewässerung oder großen Aufwand hier in unserer klimatischen Region anbauen könnte und dass wird verhindert, in dem es erschwert wird?
Für reine Nutzhanfbauern ist es nicht schwierig. Der Nutzhanfbauer baut seine paar Hektar an und fährt dann mit dem Mähdrescher durch und hechselt alles nieder. Er stellt Öl und Fasern her und hat kein Thema mit irgendwelchen Behörden und so. Erschwert wird es eher bei den CBD-Sachen.
Wenn man THC-haltiges Cannabis das legalisieren würde, wäre dann die Produktion automatisch nachhaltiger?
Das kann man nicht so pauschal sagen. Wenn dann alles unter streng reglementierten, zertifizierten Bedingungen angebaut werden muss, und man nachweisen muss, dass jede Pflanze immer gleich viel THC enthalten soll, dann ist es auch nicht mehr wirklich nachhaltig und man kann es genauso gut indoor in einem Labor anbauen. Du müsstest viel Energie reinstecken, damit das alles immer zuverlässig gleich und tatsächlich standardisiert ist. Wobei ich infrage stelle, dass es indoor angebaut eine medizinische Wirkung hat, weil kein Sonnenlicht drinnen ist, der Boden nicht drinnen ist und so weiter. Also zu behaupten, wenn es legalisiert würde, ist es automatisch nachhaltig... Jein – kann sein, muss aber nicht sein.
Sie sind der Koordinator für Psychiatrie, Sucht- und Drogenfragen der Stadt Wien sowie außerdem Vorsitzender von Greenpeace in Zentral- und Osteuropa. Dies scheinen auf den ersten Blick zwei sehr unterschiedliche Themenkreise zu sein. Wie sind Sie denn zu diesen so unterschiedlichen Berufen gekommen?
Vorstandsvorsitzender von Greenpeace zu sein ist eine private und ehrenamtliche Tätigkeit, die ich interessant und spannend finde. Aber das hat mit meiner beruflichen Tätigkeit nichts zu tun und das versuche ich auch nicht zu vereinen. Dinge, die man nicht vereinen kann, soll man auch nicht vereinen. In meiner beruflichen Tätigkeit als Koordinator für Psychiatrie, Sucht- und Drogenfragen bin ich für sämtliche Belange innerhalb der Stadt Wien zuständig, die mit dem Thema Psychiatrie, psychische Gesundheit und Krankheit, aber auch mit dem Bereich der Sucht und allem, was damit verbunden ist, zu tun haben. Psychische Gesundheit und Drogen haben sehr viel miteinander zu tun, weil Sucht eine psychische Erkrankung ist. Eigentlich ist es atypisch, dass das früher getrennt wurde. Man stellt sich oft auch die „Henne-Ei-Frage“: War zuerst eine grundsätzlich andere psychische Erkrankung vorhanden und ist dann die Sucht daraufgefolgt oder andersherum? Meine Aufgabe ist hauptsächlich eine strategisch steuernde und eine sehr politiknahe. Es ist mein Job, das Bindeglied zwischen den Expertinnen und Experten und der Politik zu sein. Es geht natürlich auch darum, Mittel zu verteilen. Ich habe in meiner Funktion als Koordinator keine Mittel zur Verfügung, aber ich bin parallel dazu Geschäftsführer der Sucht- und Drogenkoordination der Stadt Wien und Geschäftsführer im PSD-Wien
[Psychosoziale Dienste in Wien], gemeinsam mit Chefarzt Dr. Georg Psota. Dies sind zwei Einheiten, bei denen es um die Behandlung von Menschen mit psychischen Erkrankungen und Suchterkrankungen geht. Das wird bei der einen Firma direkt operativ im PSD-Wien erledigt und bei der anderen Firma passiert sehr viel über Förderungen.
Wir haben uns damit befasst, wie sich Drogen in Herstellung, Transport und Konsum auf das Klima auswirken können. Wie stark thematisieren Sie entsprechende Umweltfragen auch bei Greenpeace oder wird das wirklich ganz streng getrennt?
Wir sind nicht für die Substanz oder Substanzbeschaffung zuständig. Wir sind für die Behandlung der Menschen zuständig. Aber natürlich macht man sich darüber Gedanken. Der Anbau fließt sehr selten in unsere Arbeit ein. Wenn allerdings neue Stoffe auf den Markt kommen, die selber zuhause produziert werden, schon eher. Wir gehen daher auch Kooperationen mit Nachbarländern ein, wie zum Beispiel mit der Stadt Prag oder mit der Stadt Bratislava. Dort war es eine ganz schlimme soziale Frage, weil speziell Amphetamin-Küchen hauptsächlich von Roma und Sinti betrieben werden, die dort sowieso sozial geächtet sind. Das ist eine furchtbare Situation. (überlegt) Ich finde, dass das Thema Umweltbelastung bei Konsum von Substanzen sehr oft auftritt. Die am weitesten verbreiteten Substanzen, die wir in Österreich konsumieren, sind Alkohol und Nikotin. Zigaretten sind ein sehr anschauliches Beispiel, denn sie haben direkt umweltschädliche Auswirkungen. Man gefährdet damit nicht nur sich selbst, sondern auch andere. Die Luft wird verschmutzt, da übermäßig viel CO2 produziert wird. Zusätzlich ist es so, dass die Krankheit, die man in seinem Körper fördert, den Einsatz von medizinischen Maßnahmen erfordert und eine negative Energiebilanz nach sich zieht. Ohne jetzt prohibitiv zu sein, denn das hat noch nie einen Sinn gezeigt. Anbau von Cannabis, Kokain und Ähnlichem ist ein Thema, aber von der Größenordnung her haben Tabakanbau und Alkoholproduktion sicher den größten Effekt. Außerdem ist es wieder eine Form von Monokultur, die kritisch zu bewerten ist. Ich vermisse von Seiten der Regierung ein bisschen den Blick aufs Ganze und die Nachhaltigkeit.
Wie oft werden Sie eigentlich gefragt, ob Sie nach etwas süchtig sind und haben Sie vielleicht in Ihrer Jugend selbst einmal Substanzen konsumiert?
(lacht und nickt) Also Zweiteres Nein. (amüsiert) Ich habe meinen Berufsweg nicht so eingeschlagen, weil ich gegebenenfalls in meiner Jugend irgendwelche Substanzen konsumiert habe. Mein Berufsweg war eigentlich ein ganz anderer. Ich komme aus der Biochemie und habe daraufhin viele Ausbildungen gemacht. Danach habe ich Politikwissenschaft und Public Management studiert. (Kurze Denkpause) Ich habe auch sehr lange EDV [Elektronische Datenverarbeitung] in Kursen des AMS [Arbeitsmarktservice] für arbeitssuchende Menschen unterrichtet. Das habe ich zehn Jahre gemacht und war dabei sehr oft mit dem Thema Sucht konfrontiert. Da geht es in erster Linie um Alkohol, aber es gibt einen ganz erheblichen Anteil an Menschen, die andere Substanzen konsumieren, gerade in der Arbeitslosigkeit. So bin ich in das Thema Sucht eigentlich hineingekommen, die Psychiatrie ist dann später dazugekommen. Aber zur Frage, ob ich früher Substanzen konsumiert habe – so eine Frage beantwortet man nie! Denn egal was man in seiner Zukunft noch macht, fliegt einem das irgendwann um die Ohren. (grinst) Ich habe früher geraucht, zwar relativ sporadisch, aber doch. Ich habe es dann vor ungefähr zehn Jahren aufgegeben. Und ich trinke auch regelmäßig Alkohol, achte aber schon darauf, wie viel ich trinke. Ich halte auch den prohibitiven Umgang mit legalen Substanzen für einen Fehlansatz. Ich glaube, dass Menschen befähigt werden müssen, Risikokompetenz zu entwickeln. Das heißt, mit ganz bestimmtem Verhalten, wie Trinken oder Rauchen, aber auch Computerspielen oder Fernsehen, umgehen zu können. Das eine sind sogenannte stoffgebundene Süchte, das andere sind verhaltensbezogene Süchte. Ich halte es auch für einen großen Fehler, so einen Diskurs immer an der Substanz aufzuziehen. Diese Diskussion über harte und weiche Drogen ist einfach überholt und ist nicht mehr „State of the Art“. Denn die Substanz ist nur ein einziger Aspekt bei der Entwicklung einer Suchterkrankung. Da gibt es unzählige weitere Aspekte, die mindestens genau so viel wiegen. Natürlich habe ich wie jeder Mensch auch Schwächen, was gewisses Suchtverhalten betrifft.Obliegt Ihre Einrichtung gewissen Klima-Richtlinien oder Zielen, die sich die Stadt Wien gesetzt hat?
Insgesamt hat in meiner Arbeit Umweltschutz zum Glück schon Einzug gehalten, sodass er wie eine Querschnittsmaterie überall mitgedacht wird. Wenn wir uns überlegen, ob wir Infrastruktur erwerben oder mieten, schauen wir uns natürlich deren CO2-Bilanz an. Wir versuchen mittlerweile als Stadt sehr viele Programme zu fördern und selbst durchzuführen. Das hat natürlich Auswirkungen, und jetzt sage ich das eher aus einer ökonomischen Perspektive. Wenn ich für die Unternehmen, für die ich verantwortlich bin, weniger Geld für Energie ausgebe, dann habe ich mehr für die Behandlung von Menschen. (bedeutungsvolle Pause) Das hat somit nicht ausschließlich einen Umweltschutz-Charakter, sondern auch einen Aspekt, der den effizienten Einsatz von Mitteln betrifft.
Wie würden Sie aktuell die Trends bei den Suchtmitteln einschätzen? Hat sich durch COVID jetzt auch etwas verändert?
Durch Corona hat sich hauptsächlich, soweit wir bisher sehen, der Alkoholkonsum massiv geändert. Jene Menschen, die schon vor Corona eine Problematik im Bereich Alkohol hatten, nehmen jetzt unsere Angebote vermehrt in Anspruch. Es gibt eine leichte Tendenz dazu, dass der häufigere Aufenthalt zuhause das Problem mit Online-Gaming verstärkt. Wir merken nicht, dass jetzt besonders viele Substanzen im Trend sind. Was wir schon merken ist, dass Methamphetamine in Wien mehr konsumiert werden als sonst üblich. Das kann aber auch damit zusammenhängen, dass es eventuell zurzeit einen Lieferengpass bei Amphetaminen gibt. Insgesamt versuchen wir unser Augenmerk natürlich weiterhin schwerpunktmäßig im illegalen Bereich auf opiatabhängige Menschen zu legen und im legalen Bereich auf Alkoholabhängige. Nikotin sowieso. Aber wir merken gerade immer mehr, dass sehr viele Menschen sehr kontrolliert Substanzen konsumieren, die sie über das Darknet beziehen. Deswegen bauen wir dahingehend auch unsere Angebote aus. Der Schwerpunkt liegt hier eher auf Amphetaminen und Methamphetaminen, aber natürlich auch auf synthetischen Opiaten, sowie Cannabinoiden, also Cannabis in den unterschiedlichsten Darreichungsformen.
Nicht nur durch Corona merken wir, dass der Trend von Großveranstaltungen weggeht hin zu Kleinbereichen und immer mehr ins Private. Es gab die Trendwende bereits, die jetzt durch COVID noch verstärkt wird.
Sie haben vorhin angesprochen, dass Sie Arbeitssuchende unterrichtet haben und wie sehr Ihnen dabei aufgefallen ist, dass das Suchtverhalten bei dieser Bevölkerungsgruppe stärker ausgeprägt ist. Nun stellt sich also die Frage, ob es einen „typischen“ Konsumenten von bestimmten Suchtmitteln gibt? Gibt es da ein Muster?
(schüttelt den Kopf, überlegt) Ein Muster würde ich nicht sagen. Ich erkläre es mal so: Man würde nur beginnen Substanzen zu konsumieren, die einem auch entsprechen. Wenn einem graust vor dem Geschmack einer Zigarette, dann wird man nicht rauchen. Das hat natürlich auch mit der Verfügbarkeit zu tun. Und diese hat immer mit Leistbarkeit zu tun, was gerade bei Kokain ein Thema ist. Ich glaube, dass viel mehr Menschen Kokain konsumieren würden, wenn sie es sich leisten könnten. Den Prototyp einer Konsumentin oder eines Konsumenten gibt es nicht, denn die sozialen Faktoren entscheiden. Wie wurden von Kindheit an Resilienzfaktoren entwickelt? Wie wurden diese gestärkt? Wie viele Schwächefaktoren gibt es? All das spielt eine viel größere Rolle als letztlich die Substanz.
Können Sie uns spontan von Ihrem einprägsamsten oder witzigsten Erlebnis in Ihrer Tätigkeit erzählen? Ist Ihnen mal etwas Verrücktes passiert?
(Lochner denkt nach) Naja, verrückt ist einfach, wenn man das immer nur aus einer Perspektive betrachtet. Vor COVID habe ich sogenannte Lokalaugenscheine gemacht, um mich selber davon zu überzeugen, was wo passiert. Und wenn einem dort dann selber Drogen angeboten werden, dann ist das schon ein bisschen skurril (lacht).
Wie sehen Sie die Zukunft von Ihrem Beruf bei der Stadt Wien in Bezug auf den Aspekt Klima? Wird dieser vielleicht stärker thematisiert?
(nickt) Ich glaube, das wird weniger bei der Sucht, sondern mehr bei der Psychiatrie thematisiert.
Der Klimawandel, der mittlerweile ja massiv eingesetzt hat, beeinflusst auch die Psyche der Menschen. Und vor allem bei Personen, die eher dazu neigen psychische Erkrankungen zu haben, beziehungsweise sie zu entwickeln, ist das ein Faktor, den man bedenken muss. Und ich spreche noch gar nicht von dementen Menschen oder Älteren, denen die Hitze zu schaffen macht. Wir hatten diesen Sommer ausnahmsweise Glück mit den Temperaturen. Dieser Aspekt wird mit Sicherheit ein größerer werden. Und was die Sucht betrifft, glaube ich, dass der Klimaaspekt eine eher untergeordnete Rolle spielen wird. Weil ich nicht glaube, dass sich Leute über den Umweg der Herstellung oder der sehr CO2-intensiven Produktion von Substanzen, Gedanken über ihr Konsumverhalten machen. Ich glaube auch nicht, dass sich wie in einer Dystopie ein CO2-neutral hergestelltes Cannabinoid oder Ähnliches etablieren wird. Ich glaube aber wirklich, dass das im Bereich der Psychiatrie und der psychischen Erkrankungen ein sehr großes Thema werden wird. Wir arbeiten auch daran und versuchen, das nachhaltig mit einzubinden.
Hätten Sie noch ein paar Worte zum Schluss, die Sie uns mit auf den Weg geben wollen?
(lacht) G´sund bleiben und auf die Psyche achten!